Stehen sich im Immissionsschutzrecht konkurrierende Vorhaben gegenüber, hat die Genehmigungsbehörde zu entscheiden, über welchen Antrag sie zuerst zu entscheiden hat. Ein Konkurrenzverhältnis kann bei Windenergieanlagen durch Standsicherheitsanforderungen und Schallemissionen entstehen, die dazu führen, dass nur ein Vorhaben realisiert werden kann. Bei konkurrierenden Genehmigungsanträgen richtet sich die Reihenfolge regelmäßig danach, welcher Antrag zuerst vollständig ist. Das hat zur Folge, dass derjenige, der seinen Antrag zuerst gestellt hat, das Nachsehen haben kann, wenn der Konkurrent die Antragsunterlagen schneller vervollständigt. Der Fall, dass sich ein Genehmigungsantrag (§§ 4, 6 BImSchG) und ein Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids (§ 9 BImSchG) gegenüberstehen, fristet in der Rechtsprechung bislang eher ein Schattendasein. Mit einem solchen Fall hatte sich das Verwaltungsgericht Lüneburg zu befassen (VG Lüneburg, Beschluss vom 07.07.2017 – 2 B 43/17).
Der Beschluss hat grundlegende Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen Vorbescheids- und Genehmigungsanträgen nach dem BImSchG zum Gegenstand. Das VG Lüneburg legt zutreffend zugrunde, dass dann, wenn der Genehmigungsbehörde ein Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids (§ 9 BImSchG) und ein Antrag auf Erteilung eines Genehmigungsbescheids (§ 6 BImSchG) vorliegt und die Vorhaben sich wechselseitig ausschließen, jedem Antragsteller ein Anspruch auf ermessensfehlerhafte Entscheidung über die Frage zusteht, über welchen Antrag zuerst zu entscheiden ist. In welcher Reihenfolge über Anträge zu entscheiden ist, ist nicht gesetzlich geregelt und diese Frage wird in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht einheitlich behandelt. Die grundlegende Frage dabei ist, ob ein Vorbescheid, der lediglich einzelne Genehmigungsfragen zum Gegenstand hat, sich gegenüber einem Genehmigungsantrag, welcher sämtliche Genehmigungsvoraussetzungen zum Gegenstand hat, durchsetzen kann. Das OVG Weimar hat diese Frage bejaht (Beschluss vom 17.07.2012 – 1 EO 35/12): Das Durchsetzungsvermögen eines Vorbescheids besteht nach der Rechtsauffassung des OVG Weimar indessen nur im Umfang der im Vorbescheidsverfahren zu prüfenden Genehmigungsvoraussetzungen (z. B. Schalleigenschaften, Schattenwurf). Das bedeutet, dass ein Vorbescheid einen späteren Genehmigungsbescheid insoweit sperren kann, wie die Genehmigungsvoraussetzungen für den Genehmigungsantrag nicht mehr erfüllt werden können.
Nach anderer Auffassung besteht zwischen einem Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids und einem Genehmigungsantrag per se kein Konkurrenzverhältnis. Vielmehr müsse sich ein Genehmigungsantrag stets gegenüber einem Vorbescheidsantrag durchsetzen, wenn der Genehmigungsbescheid entscheidungsreif ist.
Das VG Lüneburg schließt sich weder der einen noch der anderen Auffassung an, sondern meint im Anschluss an die Rechtsprechung des VG Neustadt a. d. Weinstraße, Beschluss vom 02.03.2015 – 6 L 27/15, dass wenn ein Vorbescheidsantrag auf eine einzelne Genehmigungsvoraussetzung oder auf wenige Genehmigungsvoraussetzungen beschränkt ist, es an einem echten Konkurrenzverhältnis fehle. Vielmehr müsse sich in einem solchen Fall der Genehmigungsantrag durchsetzen und der Vorbescheidsantrag entfalte insoweit keine Sperrwirkung. Der Erlass eines Vorbescheids setzt außerdem eine positive Gesamtprognose im Hinblick auf die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens voraus. Im Einklang mit der zu diesem Erfordernis ersichtlichen Rechtsprechung verlangt das VG Lüneburg, dass dem Vorhaben keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen.
Die Maßgabe des VG Lüneburg, dass das sich ein Vorbescheidsantrag mit bloß einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen nicht gegenüber einem Genehmigungsantrag durchsetzen könne, überzeugt nicht. Das Wesen des Vorbescheids nach § 9 BImSchG ist eine eingeschränkte Überprüfung der Genehmigungsvoraussetzungen. Freilich kann angesichts der unterschiedlichen Rechtswirkungen argumentiert werden, dass der Genehmigungsantrag eine weitergehende Prüfung zum Gegenstand hat und dass dies einen Vorrang gegenüber Vorbescheidsanträgen rechtfertige. Konsequenterweise müsste man dann aber das Vorbescheidsverfahren nach § 9 BImSchG ganz grundsätzlich auf den Prüfstand stellen, denn wenn sich ein Genehmigungsantrag stets gegenüber einem Vorbescheidsantrag durchsetzen würde, hätte dies einen erheblichen Bedeutungsverlust des Vorbescheids zur Folge. Die Rechtswirkung eines Vorbescheidsantrags festzumachen, ob der Antrag lediglich einzelne Genehmigungsvoraussetzungen zum Gegenstand hat, wie es das VG Lüneburg entschieden hat, begegnet Bedenken. Denn eine solche Abgrenzung ist angesichts des stets eingeschränkten Prüfpensums im Vorbescheidsverfahren denkbar ungeeignet, denn es stellt sich die Frage, welche Prüfgegenstände geeignet und ausreichend sind und welche nicht. Eine befriedigende Antwort auf diese Frage liefert weder das VG Neustadt noch das VG Lüneburg.
Gegen das Erfordernis der positiven Gesamtprognose im Hinblick auf die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens bestehen hingegen keine Bedenken. Dieses Erfordernis kann dem Wortlaut des Gesetzes entnommen werden „… sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können …“ (§ 9 Absatz 1 BImSchG). Das VG Lüneburg füllt diese Anforderung mit Leben, indem es fordert, dass dem Vorhaben über die zu prüfenden einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen hinaus keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen.
In dem entschiedenen Fall erkannte das VG Lüneburg unüberwindliche Hindernisse in Gestalt einer Veränderungssperre. Bemerkenswert ist, dass auch das Vorhaben der beigeladenen Konkurrentin unter die Veränderungssperre fiel und deshalb formal gleichermaßen nicht genehmigungsfähig gewesen wäre. Bei der Konkurrentin sei dies aber nicht schädlich, so im Ergebnis das VG, da deren Vorhaben im Einklang mit der in Aufstellung befindlichen Bauleitplanung stand und daher eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden könnte. Das Vorhaben der Antragstellerin widerspreche hingegen der beabsichtigten Bauleitplanung und hätte daher nicht als Ausnahme zugelassen werden können. Die Unvereinbarkeit mit der Veränderungssperre wird daher zu Lasten der Antragstellerin als unüberwindbares Hindernis angesehen, wohingegen die Unvereinbarkeit des angegriffenen Genehmigungsbescheids mit der Veränderungssperre nicht so schlimm sei, da eine Ausnahme von der Veränderungssperre hätte erteilt werden können. Dass eine solche Ausnahme der Beigeladenen nicht erteilt wurde, sei nicht relevant, da die Antragstellerin daraus keine Rechte herleiten könne.
An dieser Stelle greifen die Überlegungen des Gerichts zu kurz. Die als Sicherungsmittel der Bauleitplanung konzipierte Veränderungssperre dient allein der Sicherstellung einer Bauleitplanung. Wenn eine Bauleitplanung abgeschlossen ist – hier durch Inkrafttreten eines Bebauungsplans – tritt die Veränderungssperre außer Kraft (§ 17 Absatz 5 BauGB). Das Verwaltungsgericht hätte daher nicht isoliert auf die Veränderungssperre abstellen dürfen, sondern hätte dem seitens der Antragstellerin vorgebrachten Einwand der Rechtswidrigkeit des B-Plans nachgehen müssen. Denn wenn der B-Plan, der die Veränderungssperre obsolet macht, rechtswidrig ist, stehen dem Vorhaben der Antragsteller keine unüberwindbaren Hindernisse entgegen. Dass das Gericht an dieser Stelle allein mit der Veränderungssperre argumentiert und der Rechtsmäßigkeit des B-Plans keinerlei Bedeutung beimisst, ist wohl der größte Schwachpunkt der Entscheidung. Das Gericht rechtfertigt diese eingeschränkte Sichtweise damit, dass es als maßgeblichen Zeitpunkt den Zeitpunkt heranzieht, an dem über den Antrag auf Erteilung des Vorbescheids entschieden worden ist. Das überzeugt indessen nicht, denn maßgeblich ist nicht der Zeitpunkt der des Erlasses des Verwaltungsakts, sondern entweder der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung oder – je nach Konstellation und anwendbarem Recht – der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung bei Gericht. Dass das VG Lüneburg hier auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts und damit auf die erste Behördenentscheidung abstellt, sucht in der Verwaltungsgerichtsbarkeit seinesgleichen und kann als krasser Ausreißer bezeichnet werden. Hierdurch ersparte sich das Gericht eine inzidente Überprüfung des B-Plans, die hier eigentlich hätte stattfinden müssen.
Gegen eine positive Gesamtbeurteilung sprachen aus Sicht des VG Lüneburg außerdem Unzulänglichkeiten des Vorbescheidsantrags. So sei der Umfang der im Rahmen der Vorprüfung zu prüfenden Genehmigungsvoraussetzungen nicht klar erkennbar gewesen, indem explizit lediglich die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit „gem. raumordnerischer Belange“ begehrt worden sei. Flurstücksbezeichnungen seien unterschiedlich angegeben worden und es sei bei einer Antragsänderung unklar gewesen, welcher Anlagentyp errichtet werden solle.
Das VG Lüneburg befasste sich auch mit der Frage, ob die Genehmigungsbehörde verpflichtet gewesen wäre, die Antragstellerin auf die Lücken und Unzulänglichkeiten des Antrags aufmerksam zu machen und die Antragstellerin mit Fristsetzung zur Nachbesserung hätte auffordern müssen. Eine solche Pflicht verneinte das Gericht, da die Genehmigungsbehörde das Vorbescheidsverfahren anlässlich des Erlasses der Veränderungssperre ausgesetzt habe. Zwar sei hiergegen Widerspruch eingelegt worden seitens der Antragstellerin, über den aber nicht entschieden worden ist. Für ein ausgesetztes Verfahren, so das VG Lüneburg, mache es aus Sicht der Genehmigungsbehörde keinen Sinn, weitere Unterlagen anzufordern.
Diese Sichtweise des VG Lüneburg begegnet Bedenken: Im Ansatz zutreffend mag sein, dass es keinen Sinn macht, bei einem ausgesetzten Verfahren zusätzliche Unterlagen anzufordern oder auf Berichtigungen und Klarstellungen hinzuwirken. Hier wurde indessen gegen den Zurückstellungsbescheid Widerspruch erhoben, der gemäß § 80 Absatz 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet. Das bedeutet, dass der Verwaltungsakt bis zur Entscheidung über den Widerspruch keine Wirkung entfaltet. Die Genehmigungsbehörde hatte das Vorbescheidsverfahren daher zu behandeln als wenn es keinen Aussetzungsbescheid gegeben hätte, denn dieser war aufgrund des Widerspruchs suspendiert und entfaltete dementsprechend keine Wirkungen. Dass die Genehmigungsbehörde über den Widerspruch jahrelang nicht entschieden hat, spielt keine Rolle, denn im Gesetz findet sich keine Vorgabe dazu, dass der Suspensiveffekt (§ 80 Absatz 1 VwGO) zeitlich beschränkt wäre. Wenn eine Behörde über einen Widerspruch nicht entscheidet, suspendiert der Widerspruch den Verwaltungsakt zeitlich unbegrenzt. Das bedeutet, dass die Genehmigungsbehörde hier sehr wohl verpflichtet gewesen wäre nachzufragen, wenn der Antrag unvollständig, unzureichend oder missverständlich gewesen ist.
Das VG Lüneburg macht außerdem eine interessante Randbemerkung, indem es eine Änderung des Antrags von fünf auf eine Windenergieanlage für unschädlich hält. Im Anschluss an die Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 03.08.2016 – 8 A 10377/16) zu § 16 BImSchG, sei darin nämlich keine Verschlechterung der Situation zu erblicken, weshalb die Veränderung nicht als wesentlich anzusehen sei. Daran wäre also das Verfahren nicht gescheitert. Für die glücklose Antragstellerin ist diese Bestätigung erfreulich, aber in der Sache letztlich nicht hilfreich.
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