In Gerichtsentscheidungen scheinen Rechte von Nichtrauchern regelmäßig keine Rolle zu spielen. Am Ende hängt die Frage, ob ein Nichtraucher, der sich vom Qualm des Nachbarn gestört fühlt, von einer Abwägung ab, bei der die Rechte des Rauchers gegen die Rechte des Nichtrauchers abgewogen werden. Dabei fällt das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Rauchers, tun und lassen zu können was man will (Art. 2 Absatz 1 GG) besonders ins Gewicht, da Rauchen noch immer als sozialadäquat gilt. Das bedeutet, dass Rauchen “dazu gehört”, weil es gesellschaftlich anerkannt ist. Dieser Umstand lässt das Recht des Nichtrauchers, vom Qualm verschont zu bleiben regelmäßig als weniger gewichtig dastehen. Dabei wird auch argumentiert, dass gesundheitliche Gefahren aufgrund von Passivrauchen bei geringen Rauchkonzentrationen wissenschaftlich nicht nachgewiesen sind. Bei gerichtlichen Streitigkeiten kommt es zuweilen zu Ortsterminen, bei denen sich das Gericht einen Eindruck von den Umständen vor Ort verschafft. Nicht selten werden klagende Nichtraucher dann als überempfindlich dargestellt, da so ein bisschen Rauch nach Auffassung vieler Gerichte wohl kaum störe. Für Nichtraucher ist diese Rechtsanwendung oft frustrierend. In jüngerer Zeit zeichnet sich allerdings ab, dass die zunehmende Anzahl von Nichtrauchern zu einem Umdenken führt. Denn an dem Dogma der Sozialadäquanz des Rauchens wird kräftig gerüttelt. Das mag mit dem mittlerweile auch in der sich verjüngenden Richterschaft zunehmenden Gesundheits- und Freiheitsbewusstsein liegen, das eine höhere Gewichung der Position von Nichtrauchern zur Folge hat. Die Zeiten, in denen Gerichtsgebäude auf Fluren und Toiletten noch mit Aschenbechern ausgestattet waren, sind vorbei. Ein Zeichen dieses Wandels hat nun auch das Landgericht Dortmund gesetzt.
In einem Rechtsstreit wollte ein Nichtraucher seinen rauchenden Nachbarn das Rauchen auf der Terrasse und in der Küche des benachbarten Reihenhauses untersagen lassen. Das Amtsgericht wies die Klage nach Durchführung eines Ortstermins zurück. Hiergegen wandten sich die Nichtraucher mit der Berufung und hatten teilweise Erfolg: Das Landgericht Dortmund urteilte, dass das Rauchen auf der Terasse nur zu bestimmten Zeiten zulässig ist, sodass insgesamt 12 Stunden je Tag rauchfrei bleiben. So ist das Rauchen täglich von 6 bis 9 Uhr, von 12 bis 15:00 Uhr, von 18 bis 21 Uhr und von 0 bis 3 Uhr untersagt. Der Forderung, das Rauchen auch in der eigenen Küche zu unterlassen, erteilte das Landgericht eine Absage, obgleich der Qualm bei eingeschalteter Dunstabzugshaube nach draußen dringt.
Die Entscheidung ist bemerkenswert, weil sie ein Rauchverbot für das eigene Grundstück zum Gegenstand hat. Allerdings sind die Umstände des Falles auch besonders, denn die Nachbarn grenzen unmittelbar aneinander und am Raucherhaus wurde eine Glasüberdachung an der Terrasse angebracht, die den Rauch direkt in das Schlafzimmer der nichtrauchenden Nachbarn ziehen ließ. In einer solchen Situation kann ein unbeschränktes Rauchen zu erheblichen Beeinträchtigungen führen.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang nicht mit der Frage befasst, ob ein solches Rauchverbot auf dem eigenen Grund und Boden verfassungsrechtlich zulässig ist. Immerhin wird die Eigentumsgarantie der Raucher (Art. 14 GG) eingeschränkt. Anders als teilweise in der Presse dargestellt (Bild), hat das Dortmunder Landgericht aber nicht von der Zulassung der Berufung abgesehen. Richtig ist, dass die Entscheidung in einem Berufungsverfahren ergangen ist. Hiergegen wäre die Revision das richtige Rechtsmittel. Die Revision wurde aber nicht zugelassen. Dementsprechend dürften die Voraussetzungen für eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht vorliegen. Es bleibt zu hoffen, dass eine der Parteien das Bundesverfassungsgericht anruft. Möglich wäre dies für beide Parteien, da das Urteil für beide Parteien eine Beschwer beinhaltet: Die Raucher dürfen nicht mehr unbeschränkt rauchen und die Nichtraucher haben nicht vollen Umfangs Recht bekommen.
Das Bundesverfassungsgericht prüft nicht die Rechtsanwendung im Einzelfall, sondern lediglich, ob das Gericht bei der Anwendung des einfachen Rechts gegen Grundrechte verstoßen oder Bedeutung und Tragweite der Grundrechte verkannt hat. Das BVerfG fasst dieses Prinzip in dem Satz zusammen, dass das BVerfG keine Superrevisionsinstanz ist. Aller Voraussicht nach kann es nicht schlimmer für die Nichtraucher kommen: das LG Dortmund hat die betroffenen Grundrechte im Wege der Abwägung zum Ausgleich gebracht. Das ist ein verfassungsrechtlich richtiger Ansatz. Ob die Abwägung verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, hängt von der Begründung des Urteils ab, die zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags noch nicht vorliegt. Es ist aber nicht zu erwarten, dass sich die Grundrechte der Raucher per se durchsetzen werden, denn die Rechte der Raucher stehen den Rechten der Nichtraucher gegenüber. In der Waagschale liegen daher auf Seiten der Raucher Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlugnsfreiheit) und Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum), wohingegen auf Seiten der Nichtraucher ebenfalls Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 14 GG und darüber hinaus – je nach Intensität der Rauchimmission Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG (körperliche Unversehrtheit) zu berücksichtigen sind. Die Prognose ist daher nichtraucherfreundlich.
Die Entscheidung des Landgerichts Dortmund reiht sich in andere Gerichtsentscheidungen ein, in denen Störungen und Belästigungen unter Nachbarn im Wege der Abwägung in Ausgleich gebracht worden sind. Solche Stundenpläne sind für Grillen auf dem Balkon bereits usus, stellen aber für das Rauchen ein Novum dar, da das Rauchen bisher regelmäßig als hinnehmbar angesehen worden ist. Es ist zu erwarten, dass andere Gerichte der Rechtsprechung des Landgerichts Dortmund folgen.
Wer sich gegen Störungen wehren möchte, sollte über einen längeren Zeitraum Art und Ausmaß der Störungen dokumentieren. Zu empfehlen ist zumindest ein zusammenhängender Zeitraum von drei Monaten. Dazu empfiehlt sich eine kalendermäßige Erfassung von Zeiträumen, in denen Rauch festgestellt worden ist, am besten mit Festlegung von Datum, Uhrzeit und minutengenauer Erfassung der jeweiligen Dauer und Intensität. Dazu kann eine Skala von 1 bis 10 verwendet werden, die aussagt, wie stark die Immission wahrgenomen worden ist. Je Eintrag sollte zudem vermerkt werden, ob weitere Zeugen zugegen waren, die die Störung ebenfalls wahrgenommen haben.
Nichtraucher sollten die Immission nicht als “Belästigung”, sondern als “Störung” bezeichnen. Grund: Eine Belästigung ist im juristischen Sprachgebrauch weniger als eine Störung. Zwar kann die Verwendung eines Wortes einem juristischen Laien nicht zur Last gelegt werden. Das ist aber nur in der Theorie so. Praktisch sieht es nämlich oft so aus, dass Gerichte die Verwendung eines Wortes durchaus als Indiz werten, nach dem Motto, der Kläger geht selbst lediglich von einer Belästigung aus, deshalb wird es schon nicht so schlimm sein.
LG Dortmund Urteil vom 08.06.2017 – 1 S 451/15
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