Aufsichtspflicht der Eltern oder Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters – Wer haftet bei Unfall? (BGH, Urt. v. 19.01.2021 – VI ZR 194/18)

Kommt bei einer Veranstaltung ein Kind zu Schaden, haftet unter Umständen der Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht. Was aber ist, wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben?

Der BGH entschied nun, dass der Eigentümer eines Grundstücks sich auch darauf verlassen darf, dass die Eltern ihrer Aufsichtspflicht nachkommen. Er haftet dann nicht, wenn er die ihm obliegenden Schutzmaßnahmen getroffen hat, so der BGH in seinem Urteil vom 19.01.2021 (VI ZR 194/18).

Unfall eines Kleinkindes

In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um einen tragischen Unfall mit einem Kleinkind. Der Beklagte richtete auf seinem Grundstück ein Reitturnier aus. Die Veranstaltung war frei zugänglich. Die Zuschauer mussten Eintritt zahlen.

Den Turnierteilnehmern bot der Beklagte verschiedene Wiesen zum Abstellen ihrer Pferdetransporter und Anhänger an.

Auch die Klägerin stellte dort ihren Pferdeanhänger ab. Sie beachtete die Auflagen des Beklagten, wie die Fahrzeuge aufgestellt werden sollten. Nachdem ihr Pferd am Turnier teilgenommen hatte, wurde es wieder in den Anhänger gebracht und dort festgemacht. Zusätzlich sicherte die Klägerin das Pferd mit einer Haltestange.

Wegen der hohen Temperaturen ließ die Klägerin die Rampe am Heck unten. Die Klägerin und ihre Begleiterin verließen nun den Pferdeanhänger.

Kind schwer verletzt

Unter den Zuschauern des Reitturniers befand sich auch eine Familie mit einem dreijährigen Kleinkind. Dieses begab sich -unbemerkt von den Eltern- zum Pferdeanhänger der Klägerin und ging hinein. Dort wurde das Kind von einem Pferdehuf am Kopf getroffen und schwer verletzt.

Die Versicherung der Klägerin übernahm zunächst die Kosten und nahm diverse Zahlungen an die Eltern des Kindes vor. Allerdings waren sowohl die Klägerin als auch ihre Versicherung der Auffassung, dass auch der Beklagte haften muss.

Eine entsprechende Klage wies das zuständige Landgericht jedoch ab. Die Berufung allerdings hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht stellte fest, dass auch der Beklagte zumindest zu einem Drittel haftet und in dieser Höhe die bereits erfolgten Zahlungen der Versicherung erstatten muss.

Der Beklagte war damit überhaupt nicht einverstanden. Er ging davon aus, dass er sämtlichen Verkehrssicherungspflichten nachgekommen sei und hier die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten. Ihm sei dieser Unfall zumindest nicht anzulasten, so der Beklagte. Er legte Revision beim BGH ein.

Entscheidung des BGH

Und der BGH gab ihm Recht!

Der BGH urteilte, dass der Beklagte nicht für den Unfall des Kleinkindes haftet. Zwar ist der Beklagte grundsätzlich verpflichtet gewesen, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern. Dabei sind die Maßnahmen zu treffen, die „ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren“. Hierauf weist der BGH in seinem Urteil hin.

Allerdings muss dabei nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden, so der BGH.

Veranstalter darf auf Beaufsichtigung durch Eltern vertrauen

Hinzu kommt, dass sich der Verkehrssicherungspflichtige in einem gewissen Umfang auch darauf verlassen darf, „dass die für ein Kind Verantwortlichen ein Mindestmaß an sorgfältiger Beaufsichtigung wahrnehmen“, so der BGH.

Und dieses Vertrauen hat nach Auffassung des BGH Auswirkungen auf seine eigenen Sicherungspflichten. Grund hierfür ist, dass Art und Umfang der Verkehrssicherungspflichten sich nicht nur nach der Intensität der Gefahr, sondern auch nach den Sicherungserwartungen des Verkehrs bestimmen.

„Werden Gefahren für Kinder durch die gebotene Beaufsichtigung von dritter Seite gewissermaßen neutralisiert, so reduzieren sich entsprechend auch die Sicherungserwartungen an den Grundstückseigentümer, der auf eine solche Beaufsichtigung vertrauen darf“, so der BGH.

Kleinkinder müssen ständig beaufsichtigt werden

So verhielt es sich hier. Nach dem Urteil des BGH durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass Kleinkinder so beaufsichtigt werden, dass sie jedenfalls nicht in abgestellte Pferdeanhänger gelangen können.

Kleinkinder bedürfen einer ständigen Aufsicht, so der BGH. Nach der Rechtsprechung ist Kindern erst ab einem Alter von vier Jahren einen Freiraum zuzugestehen. Aber auch hier ist eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen erforderlich, so der BGH.

Das dreijährige Kleinkind hätte nach Auffassung des BGH unter Berücksichtigung der Art der Veranstaltung so beaufsichtigt werden müssen, dass es jedenfalls nicht aus dem Blick gelassen wird und gegebenenfalls sofort an die Hand genommen werden kann.

Eltern verletzten Aufsichtspflicht

Erfolgt dies nicht, so liegt nach Auffassung des BGH grundsätzlich ein Aufsichtsversagen der Eltern vor. Auf die bloße Gefahr hin, dass die Eltern ihren Aufsichtspflichten nicht nachkommen, musste der Beklagte jedoch keine Vorkehrungen treffen.

Dies wäre nach Auffassung des BGH nur dann notwendig gewesen, wenn ganz konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung bestehen, was hier nicht der Fall war.

Aus diesen Gründen nahm der BGH an, dass der Beklagte seinen Verkehrssicherungspflichten im gebotenen Umfang nachgekommen ist, die Eltern jedoch ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen waren.

Veranstalter haftet nicht

Der Beklagte haftet –entgegen der Auffassung des OLG- nicht und muss der Versicherung daher auch keine Kosten erstatten.

Der BGH hob das Urteil des OLG entsprechend auf. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg.

BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 194/18

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