Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist auch ohne Hinweis darauf, dass die Frist mit „Bekanntgabe” beginnt, rechtens. Das BVerwG urteilte über folgende Rechtsbehelfsbelehrung:
„Gegen diese Entscheidung ist der Widerspruch gegeben, der innerhalb eines Monats bei der Stadt Rottenburg [Adresse] schriftlich oder zur Niederschrift erhoben werden kann“.
Rechtsbehelfsbelehrung der Stadt Rottenburg am Neckar
Anders als üblich enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung nicht die Formulierung, dass die Frist ab „Bekanntgabe“ gilt. Die für die Einhaltung der Widerspruchsfrist wichtige Information zum Fristbeginn ab Bekanntgabe (§ 70 VwGO) ist nach der Rechtsauffassung der Leipziger Richter entbehrlich (4 C 2.18).
Zweck der Belehrung sei die Bewirkung eines Anstoßeffekts. Dieser werde durch die Belehrung nicht verfehlt. Für rechtliche Laien sei damit eine Erschwerung der Rechtswahrnehmung nicht verbunden. Das BVerwG stellte darauf ab, dass der Begriff „Bekanntgabe“ relativ unscharf ist, denn er umfasst zahlreiche Möglichkeiten, dem Adressaten den Bescheid zur Kenntnis zu geben. Neben der Zustellung per Postzustellungsurkunde kann ein Bescheid öffentlich bekannt gemacht werden und unter Umständen auch mündlich.
Behörden können daher zukünftig die Formulierung „ab Bekanntgabe“ weglassen, ohne damit die Rechtmäßigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung zu riskieren. Das bedeutet, dass solche Rechtsbehelsbelehrungen die reguläre Frist auslösen und die Jahresfrist nach § 58 VwGO keine Anwendung findet.
Zutreffend stellt das BVerwG auf den Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung ab, indem es die Frage stellt, ob die Rechtswahrnehmung erschwert wird. Wenngleich Vereinfachungen zu begrüßen sind, geht das BVerwG hier aber einen Schritt zu weit. Denn eine Erschwerung der Rechtswahrnehmung ist mit der Weglassung der Information zum Zeitpunkt des Fristbeginns sehr wohl verbunden, wenn für den Empfänger eines Bescheids unklar ist ab wann die Frist zu laufen beginnt.
Empfänger könnten den falschen Eindruck gewinnen, dass nicht die Bekanntgabe, sondern das Datum des Bescheids maßgeblich ist. Wenn ein Bescheid beispielsweise zwei Wochen nach dem auf dem Bescheid ausgewiesenen Datum zugestellt wird, könnte der Empfänger davon abgehalten werden, sich rechtlichen Rat zu suchen.
Zweck der Rechtsbehelfsfrist ist unter anderem, dem Adressaten eine eigene Überlegung und die Einholung rechtlichen Rats zu ermöglichen. Wenn das Datum des Bescheids und die Zustellung (Bekanntgabe) weit auseinander liegen, verkürzt sich die Frist für all jene Adressaten, die fehlerhaft auf das Datum auf dem Bescheid abstellen, erheblich.
Es ist zu befürchten, dass diese Empfänger dann angesichts der knappen Zeit von der Verfolgung ihres Rechts absehen. Die Vereinfachung ist daher nicht zu begrüßen.
Enthält eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die „Bekanntgabe“, sollte zumindest dann, wenn zwischen Bescheid-Datum und Zustellung mehr als eine Woche liegt, auf die Fehlerhaftigkeit der Belehrung hingewiesen werden.
Dieses Argument hat angesichts der BVerwG-Entscheidung wohl nur geringe Erfolgsaussichten. Aber es gibt immerhin die Chance, dass ein Verwaltungsgericht eine vom BVerwG-Urteil abweichende Entscheidung trifft. Formal sind Verwaltungsgericht nämlich nicht an die Entscheidungen des obersten Verwaltungsgerichts gebunden. Es gibt nur eine faktische Bindung dergestalt, dass sich Untergerichte in der Regel an die Linien der Ober- und Bundesgerichte halten.
Betrifft: Rechtsbehelfsbelehrung, d. h. Widerspruchsbelehrung und Belehrung über die Möglichkeit der Klageerhebung – Unanwandbarkeit der Jahresfrist (§ 58 VwGO) bei Weglassen “ab Bekanntgabe”
BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 – 4 C 2.18, 3.18
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