Befindet sich hinter einer als Notausgang bezeichneten Tür ein erheblicher Absatz und kommt es aufgrund dessen zu einem Sturz, kann der Verletzte Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen. Dies gilt auch dann, wenn die Notausgangstür benutzt wird, ohne dass eine Notlage besteht. So urteilte das Oberlandesgericht Celle (OLG Celle) am 13.06.2019 (8 U 15/19).
Die Klägerin besuchte anlässlich einer Kindersportveranstaltung die Sporthalle der Beklagten. An der Sporthalle wurden seit einiger Zeit Bauarbeiten durchgeführt. In diesem Zusammenhang wurde das Erdreich um die Sporthalle herum erheblich abgetragen, unter anderem unmittelbar hinter einer Notausgangstür.
Da die Luft in der Sporthalle zunehmend schlechter wurde, bat die Klägerin darum, die Notausgangstür öffnen zu dürfen, damit frische Luft rein kommen konnte. Anschließend begab sie sich zu der Tür und versuchte sie zu öffnen. Da die Tür ziemlich breit war, musste die Klägerin beim Öffnen einen Schritt nach vorn machen. Dabei übersah sie die Baugrube direkt hinter der Tür und fiel hinein.
Die Klägerin zog sich mehrere Verletzungen, unter anderem eine Fraktur zu. Sie war nicht in der Lage, allein aufzustehen und konnte nur mit Hilfe anderer Anwesenden aus der Baugrube herausgeholt werden.
Nach Auffassung der Klägerin hat die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil sie nicht auf die Baugrube hinter der Notausgangstür hingewiesen hat. Sie verlangte von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Die Beklagte jedoch war der Ansicht, dass die Klägerin die Notausgangstür bestimmungswidrig benutzt hat, da überhaupt keine Notlage bestand. Daher könne sie sich nicht auf etwaige Schutzvorschriften berufen.
Darüber hinaus sei der Klägerin, die in unmittelbarer Nähe zur Sporthalle wohnte, bekannt gewesen, dass sich dort eine Baustelle befand. Der Sturz sei daher auf Eigenverschulden zurückzuführen. Schadensersatz und Schmerzensgeld könne die Klägerin jedenfalls nicht geltend machen.
Da die Beklagte jegliche Zahlung verweigerte, erhob die Klägerin Klage vor dem zuständigen Landgericht. Das Landgericht wies die Klage ab und folgte im Wesentlichen der Auffassung der Beklagten. Die Klägerin verfolgte ihre Ansprüche jedoch weiter und legte Berufung beim OLG Celle ein.
Das OLG Celle gab der Klägerin Recht!
Nach dem Urteil des OLG Celle hat die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil sie keine ausreichenden Sicherungsmaßnahmen ergriff.
Unstreitig befand sich hinter der Notausgangstür ein erheblicher Niveauunterschied und damit eine beseitigungspflichtige Gefahr, so das OLG Celle. Das OLG Celle weist darauf hin, dass der Bereich eines Notausganges so beschaffen sein muss, dass Personen das Gebäude bei Auftreten eines Notfalls ungefährdet verlassen können. Dies kann natürlich nicht gewährleistet werden, wenn sich hinter der Notausgangstür eine Baugrube befindet.
Zudem hat die Beklagte überhaupt nicht vor der Gefahrensituation hinter der Tür gewarnt, wobei nach Auffassung des OLG Celle schon fraglich ist, ob eine Warnung bei dieser erheblichen Gefahr überhaupt ausgereicht hätte.
Dass die Klägerin die Notausgangstür benutzt hat, ohne dass ein Notfall vorlag, ist unbeachtlich. Das OLG Celle weist darauf hin, dass nach ständiger Erfahrung Notausgangstüren regelmäßig auch dann benutzt werden, wenn kein Notfall vorliegt.
Aus diesem Grund muss nach hierzu bereits ergangener Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Verkehrssicherungspflichtige auch für solche Konstellationen Vorkehrungen treffen, so das OLG Celle. Dies ist hier nicht passiert. Damit hat die Beklagte nach Auffassung des OLG Celle gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Auch lag kein Mitverschulden der Klägerin vor. Hierauf weist das OLG Celle hin. Allein die Tatsache, dass die Klägerin in der Nähe der Baustelle wohnt, lässt nicht darauf schließen, dass ihr der Erdaushub unmittelbar hinter der Notausgangstür bekannt war. Sie musste auch nicht damit rechnen, nur weil ihr grundsätzlich bekannt war, dass um die Sporthalle herum Bauarbeiten durchgeführt wurden, so das OLG Celle.
Nach Auffassung des OLG Celle darf vielmehr jeder Besucher eines Gebäudes damit rechnen, dass „ein aufgrund seiner Bedeutung grundsätzlich immer freizuhaltender Notausgang in Ermangelung eines Warnhinweises oder einer Sperrung des Ausgangs von den Bauarbeiten nicht betroffen ist“. Auch die Klägerin durfte darauf vertrauen. Ein Mitverschulden war der Klägerin nach dem Urteil des OLG Celle daher nicht anzulasten.
Aufgrund der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das OLG Celle hob das zuvor ergangene Urteil auf und gab der Klage vollumfänglich statt.
OLG Celle, Urteil vom 13.06.2019– 8 U 15/19
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