Bestehen zwischen Mieter und Vermieter enge familiäre Beziehungen, fallen herabsetzende Äußerungen des Mieters gegenüber dem Vermieter nicht so sehr ins Gewicht. In diesem Fall kann es an einer zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigenden Pflichtverletzung fehlen. Grund hierfür ist, dass im engsten Familienkreis jedem ein persönlicher Freiraum gewährt werden muss, seine Emotionen frei zu äußern. Dies gilt auch bei einem Mietverhältnis unter Verwandten. Diese Entscheidung traf das Landgericht Berlin (LG Berlin) am 22.08.2019 (67 S 109/19).
Zwischen der Beklagten und ihren Eltern bestand seit 36 Jahren ein Mietverhältnis über eine Wohnung im Haus der Eltern. Das Mietverhältnis kam bislang ohne nennenswerte Beanstandungen aus.
Dann trat in der Wohnung der Tochter jedoch Schimmelpilzbildung auf. Die Tochter verlangte von ihren Eltern die Beseitigung des Schimmels und seiner Ursache. In diesem Zusammenhang kam es zu Spannungen, die sich immer weiter zuspitzen.
Die Eltern behaupteten, ihre Tochter würde die Instandsetzungsmaßnahmen boykottieren, indem sie nicht ausreichend Zutritt zu ihren Räumlichkeiten gewährleisten würde. Die Tochter stellte die Geeignetheit der geplanten Maßnahmen in Frage. Auf dem Höhepunkt der Streitigkeiten beschuldigte die Tochter ihre Eltern der Körperverletzung aufgrund des Nichtbeseitigens des Schimmels. Sie erhob schließlich eine entsprechende Strafanzeige gegen ihre Mutter.
Die Eltern kündigten daraufhin das Mietverhältnis mit ihrer Tochter und verlangten, dass diese aus der Wohnung auszog. Da die Tochter sich weigerte, erhoben die Eltern Klage vor dem zuständigen Amtsgericht, mit Erfolg. Das Amtsgericht hielt die Kündigung des Mietverhältnisses für rechtmäßig. Die Tochter legte Berufung beim LG Berlin ein, über die nun entschieden wurde.
Das LG Berlin entschied: Die Kündigung des Mietverhältnisses war unwirksam! Eine Pflichtverletzung der Tochter, die zur Kündigung berechtigen würde, lag nicht vor, so das LG Berlin.
Weder die von der Tochter getätigten herabsetzenden Äußerungen, noch die Beschuldigungen im Hinblick auf den Straftatbestand der Körperverletzung stellten Pflichtverletzungen dar, die eine Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen.
Das LG Berlin weist darauf hin, dass für die Beurteilung einer erheblichen Pflichtverletzung sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Hierzu zählt z.B. die Dauer des bisherigen beanstandungsfreien Mietverhältnisses, das Gewicht der Vertragsverletzung oder eine mögliche Wiederholungsgefahr. Hierzu zählen aber auch persönliche Umstände, wie z.B. eine enge familiäre Verbundenheit, so das LG Berlin.
Die unter Umständen herabsetzend wirkenden Äußerungen der Tochter stellen keine erhebliche Pflichtverletzung dar. Diese Äußerungen wiegen aufgrund der engen familiären Verbundenheit weniger schwer, als in den Fällen, in denen keine besondere persönliche Beziehung zwischen den Mietparteien besteht, so das LG Berlin.
Grund hierfür ist nach dem Urteil des LG Berlin der Grundsatz, „dass im engsten Familienkreis jedem ein persönlicher Freiraum gewährt werden soll, in dem er sich selbst überlassen ist und sich mit seinen engsten Verwandten ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen frei aussprechen und seine Emotionen frei ausdrücken, geheime Wünsche oder Ängste offenbaren und das eigen Urteil über Verhältnisse oder Personen freimütig kundgeben kann, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen“.
Aufgrund dieses Grundsatzes hatten die Eltern nach Auffassung des LG Berlin die Äußerungen ihrer Tochter, auch wenn diese in der Sache nicht zutreffend oder sogar persönlich herabsetzend waren, hinzunehmen.
Auch stellt die Äußerung der Tochter, die geplanten Maßnahmen seien zur Mängelbeseitigung nicht geeignet, keine erhebliche Pflichtverletzung dar. Denn mit dieser Äußerung hat die Tochter lediglich ihre Zweifel zur Geeignetheit der Maßnahmen kundgetan. Eine ernsthafte und endgültige Verweigerung der Mängelbeseitigung lag nach Auffassung des LG Berlin nicht vor.
Im Hinblick auf die erhobene Strafanzeige wegen Körperverletzung weist das LG Berlin darauf hin, dass die Tochter selbst davon überzeugt war, einem gesundheitsgefährdenden Schimmelbefall ausgesetzt zu sein. Bei der Anzeigenerstattung kommt daher allenfalls fahrlässiges Verhalten in Betracht, so das LG Berlin. Und ein solches fahrlässiges Verhalten fällt in der Gesamtschau der Umstände nur unerheblich ins Gewicht. Eine Kündigung kann nach Auffassung des LG Berlin, hierauf jedenfalls nicht gestützt werden.
Zu Gunsten der Tochter war nach dem Urteil des LG Berlin auch das bisherige beanstandungsfreie Mietverhältnis über einen Zeitraum von 36 Jahren.
Eine erhebliche Pflichtverletzung der Tochter war nicht gegeben, so das LG Berlin. Die Kündigung des Mietverhältnisses war daher unwirksam.
Das LG Berlin hob das Urteil des Amtsgerichts auf und wies die Räumungsklage der Eltern ab.
LG Berlin, Urteil vom 22.08.2019– 67 S 109/19
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