Überschreitet der Fahrer eines Fahrzeugs die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn, so haftet er im Falle eines Unfalls mit. Dies gilt, wenn nicht nachweisbar ist, dass der Unfall auch bei Einhalten der Richtgeschwindigkeit nicht zu verhindern gewesen wäre. So entschied das Landgericht München I (LG München I) in seinem Urteil vom 31.10.2018 (17 O 5549/17).
Der Kläger fuhr mit seinem PKW auf der linken Spur einer Autobahn. Der Beklagte befuhr mit seinem PKW die mittlere Spur. Die Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs lag bei ca. 180 km/h. Der Beklagte fuhr ca. 120 km/h. Als der Beklagte von der mittleren Spur auf die linke Spur wechselte, musste der Kläger stark abbremsen. Dabei schleuderte das klägerische Fahrzeug zunächst gegen die Leitplanke, dann über die insgesamt drei Spuren hinaus in den angrenzenden Grünbereich. Die beiden Fahrzeuge berührten sich nicht. Zum Zeitpunkt des Unfalls war die Fahrbahn schneebedeckt. Zudem warnten die Wechselschilder auf der Autobahn vor Glatteis. Zwischen den Parteien ist streitig, wie weit beide Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Spurwechsels durch den Beklagten voneinander entfernt waren. Der Beklagte gab an, das klägerische Fahrzeug habe sich bei seinem Spurwechsel noch ca. 200-300 Meter entfernt hinter ihm befunden. Der Kläger jedoch behauptete, der Beklagte habe ca. 20 Meter vor ihm plötzlich die Spur gewechselt. Dabei habe der Beklagte den rückwärtigen Verkehr nicht beachtet, so dass der Kläger gezwungen war, stark abzubremsen. Das Fahrzeug des Klägers erlitt einen Totalschaden. Nach Auffassung des Klägers habe der Beklagte aufgrund seines Spurwechsels den Unfall allein verursacht.
Der Kläger verlangte vom Beklagten die Erstattung des gesamten Unfallschadens. Der Beklagte ging von einer Teilschuld aus und erstattete einen Teilbetrag. Der Kläger verlangte nun vom Beklagten den restlichen Betrag und erhob Klage vor dem LG München I.
Das LG München I gab dem Kläger zum Teil Recht. Es verurteilte den Beklagten zur Zahlung eines weiteren Betrages. Den gesamten Schaden hat der Beklagte jedoch nach Auffassung des LG München I nicht zu erstatten. Das LG München I ging in seinem Urteil von einer Haftung des Beklagten von 60% aus. Den Kläger hingegen trifft eine Mithaftung von 40%, so das LG München.
Grundsätzlich ergab die Beweisaufnahme, dass der Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Spurwechsel des Beklagten stand. Der Verstoß gegen die Sorgfaltsvorschriften des § 7 Absatz 5 StVO beim Spurwechsel des Beklagten führt nach Auffassung des LG München I zu einer Haftungsquote von 60%. Haftungsquote bei Überschreiten der Richtgeschwindigkeit von 40%
Den Kläger trifft jedoch nach Auffassung des LG München I eine Mitschuld. Diese ergibt sich aus dem deutlichen Überschreiten der Autobahnrichtgeschwindigkeit durch den Kläger. Der Sachverständige stellte fest, dass der Unfall bei Einhalten der Richtgeschwindigkeit von 130 Km/h hätte verhindert werden können. Bei dieser Geschwindigkeit hätte das Abbremsen nicht zum Ausbrechen des klägerischen Fahrzeugs geführt.
Das LG München I weist in seinem Urteil darauf hin, dass das Überschreiten der Autobahnrichtgeschwindigkeit nicht grundsätzlich zu einer Haftung führt. Aus § 1 der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung ergibt sich, dass es sich bei der Richtgeschwindigkeit lediglich um eine Empfehlung handelt. „Jedoch rechtfertigt eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit die Annahme eines Mitverschuldens, wenn nicht nachweisbar ist, dass der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit nicht zu verhindern gewesen wäre“. Hierauf weist das LG München I in seinem Urteil unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs hin (BGH, NJW 1992, 1684). Die Umstände des Einfalls sind entscheidend. Zum Unfallzeitpunkt war die Fahrbahn schneebedeckt. An insgesamt drei Schilderbrücken vor der Unfallstelle zeigten die Warnschilder „Vorsicht Glätte“ an. Es herrschten demzufolge ungünstige Straßen- und Witterungsverhältnisse. Die Empfehlung der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf günstige Straßen- und Wetterverhältnisse. Diese herrschten jedoch zum Unfallzeitpunkt gerade nicht. Der Sachverständige gab an, dass das klägerische Fahrzeug bei Einhalten der Richtgeschwindigkeit nicht ausgebrochen wäre.
Der Kläger konnte damit nicht nachweisen, dass der Unfall auch bei Einhalten der Richtgeschwindigkeit nicht hätte vermieden werden können. Damit liegt eine Mithaftung des Klägers aufgrund des Überschreitens der Richtgeschwindigkeit vor. Das LG München I ging beim Kläger von einer Haftungsquote von 40% aus. Die Klage hatte daher nur zum Teil Erfolg. Im übrigen wurde sie aufgrund der Mithaftung des Klägers abgewiesen.
LG München I, Urteil vom 31.10.2018 – 17 O 5549/17
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