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Sonderkündigungsschutz nach MuSchG auch bei Anzeige einer möglichen oder vermuteten Schwangerschaft (LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.03.2018– 10 Sa 1509/17)

Der Sonderkündigungsschutz nach § 9 MuSchG a.F. (§ 17 MuSchG n.F.) greift bereits dann, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber mitteilt, dass sie möglicherweise schwanger ist bzw. eine Schwangerschaft vermutet. Dies gilt, wenn zum Kündigungszeitpunkt tatsächlich eine Schwangerschaft vorliegt. Ein entsprechendes Urteil fällte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LArbG Berlin-Brandenburg) am 15.03.2018 (10 Sa 1509/17).

Der Fall:

Die Klägerin ist bei der Beklagten als kaufmännische Bürokraft beschäftigt. Sie erkrankte und legte der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihrer Gynäkologin vor. Der Geschäftsführer der Beklagten und auch die Büroleitung erfragten daraufhin den Grund für die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Die Klägerin teilte sodann der Beklagten per E-Mail Folgendes mit:

„Hallo Ihr Lieben, ich fühle mich noch nicht wirklich gut, sodass ich nicht kommen kann. Ihr fragt Euch bestimmt, ob ich schwanger bin. Das kann ich selbst nicht ganz beantworten. Habe auch keine Arbeitgeberbescheinigung oder ähnliches bekommen. Geplant war das auch nicht, wir haben gerade den Kaufvertrag für ein Haus unterschrieben, Baubeginn ist im Frühjahr 2017. Es sieht momentan so aus, als wäre eine Fruchthöhle da…mehr kann ich euch nicht sagen! Zudem kamen durch den Sturz noch einige Komplikationen. Ich hoffe ihr wisst die Offenheit zu schätzen“.

Fünf Tage später kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin. Der Zugang der Kündigung bei der Klägerin ist streitig. Die Beklagte behauptet den Zugang der Kündigung bei der Klägerin am Folgetag. Die Klägerin behauptet, ihr sei keine Kündigung zugegangen. Ca. eine Woche nach dem angeblichen Zugang der Kündigung bei der Klägerin teilte diese der Beklagten per E-Mail unter anderem mit: „Nun gut, ich bin schwanger“. Ein paar Tage später forderte die Beklagte die Klägerin zur Rückgabe der Büroschlüssel auf und wies darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung zum Ende des Monats aufgelöst sei. Die Klägerin teilte in diesem Zusammenhang der Beklagten mit, dass die Bestätigung ihrer Schwangerschaft bereits per Post auf dem Weg zur Beklagten sei. Damit sie eine Kündigung in jedem Fall unwirksam. Trotz Aufforderung durch die Klägerin nahm die Beklagte die Kündigung nicht zurück.

Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht ging nach der Durchführung einer Beweisaufnahme davon aus, dass die Kündigung der Klägerin zugegangen sein muss und folgte insofern dem Vortrag der Beklagten. Die Frist zur Klageerhebung gemäß § 4 Satz 1 KSchG sei jedoch abgelaufen, da die Klägerin nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage erhoben hat. Die erste E-Mail der Klägerin zu einer eventuellen Schwangerschaft habe nicht dazu geführt, dass die Beklagte eine positive und sichere Kenntnis von der Schwangerschaft erhalten hat. Damit kam auch die Sondervorschrift des § 4 Satz 4 KSchG nicht zur Anwendung, wonach die Klagefrist erst von der Bekanntgabe der Behörde, deren Zustimmung einzuholen ist, zu laufen beginnt, so das Arbeitsgericht. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin wurde vom Arbeitsgericht wegen Überschreitung der Klagefrist abgewiesen.

Hiergegen legte die Klägerin Berufung beim LArbG Berlin-Brandenburg ein.

Die Entscheidung:

Die Berufung der Klägerin hatte vor dem LArbG Berlin-Brandenburg Erfolg. Die Mitteilung der Klägerin in ihrer E-Mail in Bezug auf eine eventuelle Schwangerschaft löste den Sonderkündigungsschutz des § 9 MuSchG a.F. (§17 MuSchG n.F.) aus, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Zudem war die Klageerhebung der Klägerin nicht verfristet, da aufgrund ihrer Schwangerschaft die behördliche Zustimmung erforderlich war und mangels einer solchen Zustimmung die Klagefrist gemäß § 4 Satz 4 KSchG noch nicht zu laufen begann.

Im Hinblick auf den Sonderkündigungsschutz nach § 9 MuSchG a.F. war es tatsächlich so, dass die Beklagte von der Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung keine sichere Kenntnis hatte. Die erste E-Mail der Klägerin beinhaltete auch keine solche sichere Mitteilung über ihre Schwangerschaft. Aber das Arbeitsgericht verkannte, dass auch die Anzeige einer vermuteten Schwangerschaft nach höchstrichterlicher Rechtsprechung den Sonderkündigungsschutz des § 9 MuSchG a.F. (§ 17 MuSchG n.F.) auslöst, so das LArbG Berlin-Brandenburg (BAG, Urteil vom 15.11.1990 – 2 AZR 270/90). Hierzu führt das LArbG Berlin-Brandenburg aus, dass der konkrete Inhalt der Anzeige einer Schwangerschaft im Gesetz nicht geregelt ist. Insbesondere sind „im Interesse der Effektivität des Mutterschutzes“ solche „Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit des Arbeitgebers hinzunehmen, die sich aufgrund der besonderen Ungewissheitslage, wie sie für beginnende Schwangerschaften typisch ist, nicht vermeiden lassen“. So genügt auch eine nur vorsorgliche Mitteilung der Arbeitnehmerin, eine Schwangerschaft sei wahrscheinlich oder werde vermutet (BAG, Urteil vom 06.06.1974 – 2 AZR 278/73). Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Anforderungen an die Mitteilung einer Schwangerschaft nicht besonders hoch, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Mit der E-Mail der Klägerin, insbesondere den Formulierungen „es sieht momentan so aus, als wäre eine Fruchthöhle da…“ und „durch den Sturz noch einige Komplikationen“ hat die Klägerin nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg gegenüber der Beklagten eine vermutete Schwangerschaft angezeigt. Hinzu kommt, dass die Beklagte zuvor ausdrücklich nach dem Grund der Arbeitsunfähigkeit gefragt hatte. Die Klägerin hat daher mit ihrer ersten E-Mail die Vermutung ihrer Schwangerschaft mitgeteilt. Da eine Schwangerschaft tatsächlich vorlag und die Kündigung der Klägerin ohne behördliche Zustimmung gemäß § 9 Absatz 1 Satz 1 MuSchG a.F. erfolgt war, ist die Kündigung unzulässig gewesen, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin ist auch rechtzeitig erhoben worden. Nach § 4 Satz 4 KSchG lag eine behördliche Zustimmung als die Klagefrist auslösende Tatsache nicht vor. Die vom Arbeitsgericht in erster Instanz angenommene Kündigungsfrist von 3 Wochen seit Zugang der Kündigung gemäß § 4 Satz 1 KSchG gilt nicht, so das LArbG Berlin-Brandenburg.

Die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Kündigung war daher in jedem Fall unwirksam. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg und das LArbG Berlin-Brandenburg stellte in seinem Urteil fest, dass das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst wurde.

LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.03.2018 – 10 Sa 1509/17

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