Nach einem beendeten Mandatsvertrag stellt sich häufig die Frage, ob und in welchem Umfang der ehemalige Mandant Einsicht in die Anwaltsakten verlangen kann. Eine ganz praktische Rolle spielt dieses Verlangen dann, wenn der Vertrag im Streit beendet worden ist und der Mandant Ansprüche gegen seinen ehemaligen Anwalt geltend machen möchte, z. B. weil dieser fehlerhaft beraten hat und dadurch ein Schaden eingetreten ist. In solchen Fällen ist das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt regelmäßig bereits zerrüttet und der Anwalt möchte – im eigenen Interesse – vermeiden, dass der Mandant umfangreiche Unterlagen erhält.
Gegen die Herausgabe der Akten wird deshalb häufig vorgebracht, dass der Mandant bereits sämtlichen Schriftverkehr in Kopie, sei es in Papierform oder per E-Mail, erhalten hat. Damit sei das Einsichtsrecht bereits erfüllt und könne nicht abermals geltend gemacht werden. Anwälte berufen sich außerdem darauf, dass ein Einsichtsrecht nicht für Unterlagen gelte, in denen der Anwalt seine persönlichen Eindrücke und Hintergrundinformationen gesammelt hat, welche nicht zur Kenntnisnahme durch den Mandanten bestimmt waren.
Dass Streitigkeiten über die Aushändigung von Anwaltsakten bei Obergerichten landen, wie vor dem Oberlandesgericht Brandenburg, ist relativ selten. Das OLG Brandenburg hat sich mit zahlreichen interessanten Fragen um die Akteneinsicht beim Anwalt auseinandergesetzt:
Ein Anspruch auf Einsicht in die so genannte Handakte des Anwalts besteht nach § 666 BGB i. V. m. § 50 BRAO. Bei dem Anwaltsvertrag handelt es sich um einen um einen Dienstvertrag mit Elementen der Geschäftsbesorgung, auf den § 675 BGB und damit auch die §§ 666, 667 BGB Anwendung finden. Der Anwalt ist daher gegenüber dem Mandanten verpflichtet, alles was er im Rahmen der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben (§ 667 BGB) und er ist dem Mandanten Rechenschaft schuldig über den Stand des Geschäfts (§ 666 BGB). Nach Auffassung der Brandenburger Richter hat die Rechenschaftspflicht nach § 666 BGB eine andere Qualität als die Rechenschaft nach § 259 BGB, die sich im Wesentlichen auf die Kenntnisgabe der mit der Verwaltung zusammenhängenden Umstände sowie Einnahmen und Ausgaben bezieht. Die „Rechenschaft“ im Sinne von § 666 BGB reicht weiter und kann – so das OLG Brandenburg – über dasjenige hinausgehen, was der Anwalt nach § 667 BGB ohnehin dem Mandanten zu überlassen hat.
Umfang der Rechenschaftspflicht
Das OLG Brandenburg entnimmt § 666 BGB eine über § 667 BGB hinausgehende Rechenschaftspflicht. Danach habe der Anwalt nicht bloß gewechselten Schriftverkehr zur Kenntnis zu überlassen, sondern darüber hinaus grundsätzlich auch alle Unterlagen, Dateien und dergleichen, die in Erfüllung des Anwaltsvertrags angefallen sind:
Vom Recht auf Akteneinsicht nicht umfasst sind allerdings persönliche Notizen des Anwalts und Hintergrundinformationen, welche dieser zu dem Mandat gesammelt hat. Bei solchen Inhalten bestehe nämlich ein gerechtfertigtes Interesse des Anwalts. Als Organ der Rechtspflege sei es Anwälten nämlich zuzugestehen, bestimmte Informationen den eigenen Mandanten nicht zur Kenntnis zu geben.
Dem Akteneinsichtsgesuch kann der Anwalt nicht entgegenhalten, dass er sich dadurch angreifbar macht. Im Gegenteil: Mandanten haben gerade bei groben Pflichtverstößen ein besonderes Interesse an der Akteneinsicht. Dass der Anwalt sich durch die Herausgabe der Akten selbst angreifbar macht, ist hinzunehmen. Ein Recht, die Akteneinsicht aufgrund einer eigenen drohenden Strafbarkeit zu verwehren, wie bei den Zeugnisverweigerungsrechten der Strafprozessordnung (StPO) existiert nicht.
Dem von Anwälten regelmäßig vorgebrachten Einwand, dass der Anspruch auf Akteneinsicht bereits dadurch erloschen sei, dass der Anwalt dem Mandanten im laufenden Mandatsverhältnis alle Unterlagen überlassen hat, erteilte das OLG Brandenburg eine Absage: Der Anspruch auf Akteneinsicht bestehe auch dann, so urteilten die Brandenburger Richter, wenn der Mandant die Unterlagen nicht mehr auffinden könne. Das bedeutet, dass Akteneinsicht auch mehrfach verlangt werden kann.
Hintergrund: Die Thematik der Akteneinsicht in Anwaltsakten hat eine große praktische Bedeutung, denn in Fällen der anwaltlichen Schlechtleistung sind Mandanten oft nicht in der Lage, die Unterlagen zum Verfahren zusammenzutragen. Das liegt häufig daran, dass der Mandant keine geordnete Akte führt und Unterlagen schlichtweg nicht mehr auffindbar sind, besonders dann, wenn das Verfahren mehrere Jahre gedauert hat.
Neben der durch das OLG Brandenburg entschiedenen Konstellation, in der sich die Zusammensetzung des Vorstands geändert hatte und die neuen Akteure Einsicht nehmen wollten, spielt die Akteinsicht auch bei Unternehmensnachfolgen, z. B. beim Erwerb von Unternehmen, eine Rolle und bei Erbengemeinschaften, die sich eine Übersicht über die vom Anwalt des Unternehmens oder Erblassers geführten Verfahren einen Überblick verschaffen möchten.
Das Urteil des OLGs hinterlässt den Eindruck, dass Mandanten beliebig häufig Akteneinsicht nehmen können, z. B. weil sie die Unterlagen nicht mehr finden können. Wenn man der sehr weit reichenden Rechtsauffassung des OLGs folgt, dann muss dem Anwalt aber gleichwohl die Möglichkeit gegeben werden, hierfür eine Gebühr verlangen zu können. Da es sich aber regelmäßig um eine reine Bürotätigkeit handelt, dürfte diese nicht ins Gewicht fallen.
OLG Brandenburg, Urteil vom 11.04.2018 – 11 U 123/16
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