Der Käufer eines mit einer Manipulationssoftware ausgestatteten Neuwagens hat gegen den Verkäufer einen Anspruch auf Lieferung eines fabrikneuen typengleichen mangelfreien Ersatzfahrzeugs, Zug um Zug gegen Rückgabe des mangelhaften Fahrzeugs. Dies entschied das Landgericht Hamburg (LG HH) mit seinem Urteil vom 07.03.2018 (329 O 105/17). Mit diesem Urteil wurden erneut die Rechte der vom Abgasskandal betroffenen Käufer gestärkt.
Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger, ein Verbraucher, kaufte im April 2015 bei der Beklagten, einer Händlerin von Fahrzeugen der Marke VW, einen Neuwagen der Marke VW, Typ Tiguan Sport & Style 4 Motion BM Techn. 2,0 TDI. Dieses Fahrzeug war von der Herstellerin mit einer Manipulationssoftware ausgestattet, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Befindet sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand schaltet die Software in einen Betriebsmodus, in dem Abgase in den Motor zurückgeführt werden. In diesem Betriebsmodus kommt es zu einem verringerten Ausstoß von Stickoxiden. Erkennt die Software, dass sich das Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb befindet, schaltet sie in einen anderen Betriebsmodus. Die Werte zum Stickoxidausstoß sind dann erheblich höher. Nach Bekanntwerden des sog. Abgasskandals bot die Herstellerin allen Betroffenen ein kostenloses Softwareupdate zur Beseitigung der Manipulationssoftware an. Der Kläger ließ dieses von der Beklagten im Juli 2016 aufbringen. Trotz dieses Softwareupdates hält der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug für mangelhaft und forderte im Januar 2017 die Beklagte schriftlich zur Nachlieferung eines mangelfreien Neuwagens auf, was die Beklagte ablehnte. Der Kläger erhob darauf hin gegen die Beklagte im April 2017 Klage beim LG HH. Er beantragte die Nachlieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs. Nach Auffassung des Klägers sei das streitgegenständliche Fahrzeug mit der Manipulationssoftware sowohl mit einem Sachmangel als auch mit einem Rechtsmangel behaftet. Eine Nachbesserung sei unmöglich und auch unzumutbar. Das bereits durchgeführte Softwareupdate stelle keine hinreichende Nachbesserung dar. Das Fahrzeug verbrauche seit dem Softwareupdate 0,5l/100km mehr. Weitere Folgen seien noch nicht absehbar. Die Durchführung des Softwareupdates sei vom Kläger nicht als Nachbesserung akzeptiert worden, er habe es nur aufgrund des Zwanges und einer befürchteten Stilllegung seines Fahrzeugs akzeptiert. Zudem habe die Herstellerin mit der Verwendung der Manipulationssoftware eine Täuschung begangen, die der Beklagten zugerechnet werden müsse. Die Beklagte hingegen ist der Auffassung, das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht mangelbehaftet. Hinzu kommt, dass eine Nachlieferung auch nicht mehr möglich sei, da das Fahrzeugmodell Tiguan I nicht mehr produziert wird. Der aktuelle Tiguan II wäre ein anderes Modell und eine entsprechende Nachlieferung unverhältnismäßig.
Das LG HH gab dem Kläger Recht und verurteilte die Beklagte zur Nachlieferung eines typengleichen, fabrikneuen und mangelfreien Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion mit identischer technischer Ausstattung Zug um Zug gegen Rückgabe des mangelhaften Fahrzeugs. Nach Auffassung des LG HH war das Fahrzeug des Klägers bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet, § 434 Absatz 1 BGB. Ein Mangel wurde hier angenommen, da der Hersteller einen unzulässigen Abschaltmechanismus verwendet hat. Der Käufer eines Neuwagens könne in jedem Fall davon ausgehen, dass die „rechtlichen Voraussetzungen für eine Zulassungsfähigkeit seines Fahrzeuges auf rechtmäßigem Wege eingehalten werden“, und zwar ohne Verwendung einer Manipulationssoftware. Das LG HH nahm an, dass die verwendete Manipulationssoftware unzulässig war und bezog sich auf die in den Prozess einbezogenen Dokumente des Kraftfahrt-Bundesamtes. Aus diesen Dokumenten ergibt sich die Verpflichtung des Herstellers, die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen. Zudem kann der Käufer bei einem Autokauf erwarten, dass die Abgaswerte eingehalten werden und „zwar nicht nur durch eine beigefügte Software für den Prüfstand“. Die Mangelhaftigkeit lag bereits produktionsbedingt und somit auch bei Übergabe an den Kläger vor. Das LG HH ging darüber hinaus von dem Vorliegen eines Rechtsmangels aus. Gemäß § 435 Satz 1 BGB ist eine Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Hierzu gehören nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch auf öffentlichem Recht beruhende Eingriffsbefugnisse, Beschränkungen und Bindungen, die die Nutzung der Kaufsache beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 18.01.2017 – VIII ZR 234/15). Dies ist hier der Fall. Wenngleich derzeit kein Entzug der Betriebserlaubnis droht, da der Kläger das Softwareupdate hat durchführen lassen, ist von einem Rechtsmangel auszugehen. Der Käufer eines neuen Fahrzeuges kann in jedem Fall davon ausgehen, dass sein Fahrzeug vollumfänglich den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Das tatsächliche Emissionsverhalten des Fahrzeuges entspricht nicht den geltenden Abgasvorschriften. Da das Fahrzeug mangelbehaftet ist, konnte der Kläger Nacherfüllung gemäß § 439 BGB verlangen.
Die Nacherfüllung durch Neulieferung eines fabrikneuen typgleichen mangelfreien Fahrzeuges ist nach Auffassung des LG HH auch nicht unverhältnismäßig im Verhältnis zur Nachbesserung gemäß § 439 Absatz 3 BGB. Der Verkäufer kann gemäß § 439 Absatz 3 BGB die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Hierbei sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und auch die Frage zu berücksichtigen, ob eine andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer verwiesen werden kann. Hier fällt die Interessenabwägung nach Auffassung des LG HH zu Gunsten des Klägers aus. Zunächst ist davon auszugehen, dass der Mangel nicht unerheblich ist. Wenngleich sich die Nachbesserungskosten für ein einzelnes Softwareupdate auf ca. 100,- € belaufen, so betrug der zeitliche Aufwand für die Entwicklung des Softwareupdates im Vorfeld mehr als ein Jahr. Allein dies schließt eine Unerheblichkeit aus, so das LG HH. Unabhängig von der wirtschaftlichen Abwägung sei hier von erheblicher Bedeutung, dass zum jetzigen Zeitpunkt unklar sei, ob das Softwareupdate auch auf lange Zeit gesehen keine technischen Nachteile bringt. Die langfristigen Folgen können derzeit nicht abgesehen werden. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe lediglich geäußert, dass es keine Bedenken hat. Allein die Tatsache, dass eine „Mangelbeseitigungsmaßnahme von der zuständigen Behörde geprüft und gefordert wird, zeigt, dass es sich nicht um einen unerheblichen Mangel handeln kann“, so das LG HH. Weiterhin geht das LG HH davon aus, dass die Nachbesserung durch das Softwareupdate für den Kläger unzumutbar ist. Unbeachtlich ist dabei, dass der Kläger das Softwareupdate bereits hat aufspielen lassen. Hierin liegt insbesondere kein Akzeptieren der Nachbesserung im zivilrechtlichen Sinne. Der Kläger folgte lediglich den öffentlichen Zwängen, weil er eine Stilllegung seines Fahrzeuges aus öffentlich-rechtlichen Gründen befürchtete. Das LG HH geht davon aus, dass ein plausibler Verdacht dahingehend besteht, dass das Softwareupdate keine ausrechende Nachbesserung darstellt. Es folgt den vom Kläger vorgebrachten Bedenken in Bezug auf einen drohenden deutlich gesteigerten Verschleiß der Motorteile nach der Durchführung eines Softwareupdates, wenn das Softwareupdate nun dazu führt, dass das Fahrzeug dauerhaft im Prüfstandmodus betrieben wird und eine permanente Abgasrückführung in den Motor erfolgt. Dieser plausible Verdacht führt nach Ansicht des LG HH zu einem „deutlichen und auf unabsehbare Zeit verbleibenden Minderwert des Fahrzeuges“. Eine sachverständige Überprüfung könne dies auch nicht ausräumen, da diese auch nur mit Langzeittests verlässliche Ergebnisse bringen könne. Zudem geht das LG HH von einer Unzumutbarkeit der Nachbesserung mittels Softwareupdate augrund der nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beklagten aus, dies aufgrund der Täuschung durch die Herstellerin. In Bezug auf die Frage der Unzumutbarkeit der Nachbesserung rechnet das LG HH das Verhalten der Herstellerin auch der Beklagten zu, denn unstreitig sei ein Softwareupdate nur unter Mitwirkung der Herstellerin möglich. Die Frage, ob die Beklagte und die Herstellerin rechtlich als selbständig zu betrachten sind oder nicht, ist unbeachtlich, denn für den Kläger bleibt es auch im Rahmen des Vertragsverhältnisses unzumutbar, ein Softwareupdate der Beklagten unter Mitwirkung der Herstellerin zu akzeptieren.
Auch die Tatsache, dass der VW Tiguan I nicht mehr produziert wird, führt nicht zu einer Unmöglichkeit einer Nachlieferung gemäß § 275 Absatz 1 BGB. Dies wäre erst dann der Fall, wenn die gesamte Gattung untergegangen ist. Die gesamte Gattung ist jedoch nicht untergegangen. Die Fahrzeuge der aktuellen Serienproduktion „Tiguan II“ gehören derselben Gattung wie der „Tiguan I“ an, so das LG HH. „Eine Gattung bilden alle Gegenstände, die durch gemeinschaftliche Merkmale (Typ, Sorte, u.U. auch Preis) gekennzeichnet sind und sich dadurch von anderen Gegenständen abheben“, wobei über die Abgrenzung der Parteiwille entscheidet. Das LG HH zog hier eine Regelung der Beklagten aus den Neuwagen-Verkaufsbedingungen heran, die unstreitig in den Kaufvertrag einbezogen worden ist. Hierin heißt es unter anderem wörtlich:
„Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton sowie Änderungen des Lieferumfangs seitens des Herstellers während der Lieferzeit bleiben vorbehalten, sofern die Änderungen oder Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind.“ Die Parteien und insbesondere die Beklagte selbst gingen von einer zulässigen Abweichung vom vereinbarten Vertragsgegenstand aus. Der neue Tiguan II weicht in seiner Beschaffenheit tatsächlich vom Fahrzeug des Klägers, dem Tiguan I ab. Der Tiguan II hat 150 PS statt 140 PS, erfüllt die EURO-Norm 6 statt EURO-Norm 5, ist einige Zentimeter größer, hat mehr Ladevolumen und ist auch in seiner technischen Ausstattung und im Design etwas abweichend vom Tiguan I. Diese Abweichungen sind jedoch nach Auffassung des LG HH unerheblich. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass der Tiguan II einer anderen Gattung als der Tiguan I angehört. Selbst nach den Verkaufsbedingungen der Beklagten hätte der Kläger diese Abweichungen vom ursprünglich bestellten Fahrzeug hinnehmen müssen. Dementsprechend hat auch die Verkäuferin, hier die Beklagte, zumutbare Änderungen der Leistungen zu erbringen. Der Tiguan I und der Tiguan II gehören der gleichen Gattung an. Eine Unmöglichkeit der Nachlieferung liegt daher nicht vor, so das LG HH. Die Beklagte hat dem Kläger daher ein typengleiches fabrikneues mangelfreies Fahrzeug aus der neuen Produktionsreihe nachzuliefern, Zug um Zug gegen Rückgabe des Tiguan I. Nach dem Urteil des LG HH hat der Kläger auch keinen Wertersatz für die Nutzung des Tiguan I zu leisten. Es handelt sich im vorliegenden Fall um einen Verbrauchsgüterkauf, mithin um einen Vertrag, durch den ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft. Bei einem Verbrauchsgüterkauf sind Nutzungen grundsätzlich nicht herauszugeben, § 474 BGB a.F. (§475 BGB n.F.).
Mit dem Urteil des LG HH ist die Beklagte daher verpflichtet, dem Kläger ein fabrikneues, typengleiches und mangelfreies Fahrzeug nachzuliefern. Der Kläger ist verpflichtet, der Beklagten Zug um Zug sein altes Fahrzeug zurückzugeben, Wertersatz für die Nutzung hat er nicht zu leisten.
LG Hamburg, Urteil vom 07.03.2018 – 329 O 105/17
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