Einem am Landgericht Passau verhandelten Rechtsstreit haben wir es zu verdanken, dass das Münchner Oberlandesgericht sich zu grundlegenden Fragen der Richterablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit äußerte. Was mit einem kleinen Scharmützel zwischen dem aus München stammenden Beklagtenanwalt und dem Richter begann, eskalierte zusehends und führte schließlich dazu, dass der Anwalt einen Befangenheitsantrag stellte. Damit waren die Frotzeleien aber nicht beendet. Im Gegenteil: Man begann sich in der mündlichen Verhandlung darüber zu streiten, wieviel Zeit dem Anwalt für die Begründung des Befangenheitsantrags einzuräumen war und ob der Richter die Begründung zu Protokoll zu nehmen hatte.
Wie bei solchen Fällen üblich, erklärte der Richter in einer dienstlichen Stellungnahme, dass die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet sei und die Kammer stellte sich hinter ihren Richter und wies das Befangenheitsgesuch zurück. Nachdem der erboste Anwalt eine sofortige Beschwerde erhoben hatte, musste sich das OLG München mit der Sache befassen.
Nahezu einhellig wird in der Rechtsprechung für Befangenheitsgründe das Vorliegen von Gründen gefordert, die geeignet sind, Misstrauen gegenüber der Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Absatz 2 ZPO). Ob der Richter tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst als nicht befangen ansieht, spielt keine Rolle. Allein maßgeblich ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit eines Richters hatte. Deshalb scheiden allein objektiv unvernünftige oder eingebildete Vorstellungen über die Befangenheit eines Richters aus. Soweit bietet die Münchner OLG-Entscheidung nichts Neues. Interessant daran sind aber die allesamt sehr praxisrelevanten Details.
Ein Befangenheitsantrag bzw. Ablehnungsgesuch setzt voraus, dass neben dem eigentlichen Antrag eine diesen tragende Begründung geliefert wird. Dementsprechend ist die Erklärung, einen Richter abzulehnen und die Begründung nachzuliefern, kein den Anforderungen von § 42 Absatz 2 ZPO genügendes Ablehnungsgesuch. Zu entscheiden hatte das OLG über folgende Umstände, welche darauf zu prüfen waren, ob Befangenheitsgründe im Sinne von § 42 Absatz 2 ZPO vorliegen.
Nachdem der Anwalt den Befangenheitsantrag gestellt hatte, was in der mündlichen Verhandlung möglich ist (§ 44 ZPO), ersuchte er darum, dass der Richter die Begründung zu Protokoll nimmt. Der Richter weigerte sich und stellte dem Anwalt anheim, das Befangenheitsgesuch schriftlich zu begründen. Im Zuge der Diskussion über die Aufnahme der Begründung in das Protokoll äußerte der Richter, er sei nicht die „Sekretärin“ des Anwalts.
Das OLG München erkannte in der ablehnenden Haltung des Richters, in Bezug auf die Aufnahme der Begründung in das Protokoll keinen Befangenheitsgrund. Denn ein Anwalt könne nicht verlangen, dass der Richter die Begründung zu Protokoll nimmt. Vielmehr könne es einem Anwalt durchaus zugemutet werden, die Begründung schriftlich zu fertigen und dem Gericht zu überreichen. Der Sache nach war die Ablehnung daher nicht zu beanstanden. Allerdings beanstandete das OLG die Formulierung, der Richter sei nicht die „Sekretärin“ des Anwalts, allerdings nicht als für sich tragender Grund, sondern zusammen mit dem Umstand, dass der Richter dem Anwalt nur sehr wenig Zeit für die Ablieferung der Begründung einräumte (dazu eingehend unten).
Im Rahmen der Diskussion äußerte der Richter, dass er nicht „irgendwelche Formulierungen“ für den Anwalt zu Protokoll nehme.
Hierin erblickte das OLG einen Befangenheitsgrund, denn die Formulierung bringt eine Abwertung der Person des Anwalts und dessen fachlichen Könnens zum Ausdruck. Hierdurch können bei objektiver Sicht Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters enstehen.
Nachdem der Richter es abgelehnt hatte, die Begründung des Befangenheitsantrags zu Protokoll zu nehmen, ersuchte der Anwalt um eine Unterbrechung der Verhandlung, damit er die schriftliche Begründung fertigen konnte. Der Richter billigte ihm aber zunächst nur 10 Minuten Zeit zu und, nachdem der Anwalt dies als zu kurz bezeichnete, für 15 Minuten. Eine längere Unterbrechung sei – so der Richter – aufgrund des nachfolgenden Termins nicht möglich. Während der zur Verfügung stehenden Zeit verfasste der Anwalt handschriftlich eine Begründung des Befangenheitsantrags.
Das OLG wertete die knappe Zeit als Grund, an der Unabhängigkeit des Richters zu zweifeln. Der Anwalt sei durch die knapp bemessene Frist zur Anfertigung der Begründung unnötig unter Druck gesetzt worden. Der nachfolgende Termin rechtfertige die Kürze der Frist nicht, vielmehr hätte dieser durchaus auch eine Vierteilstunde später beginnen können.
Im Rahmen der wechselseitigen Frotzeleien äußerte der Richter, dass er es bedaure, den Parteien keine Missbrauchsgebühr auferlegen zu können, wie das beim Bundesverfassungsgericht möglich sei.
Auch diese Äußerung hielt das OLG München für geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu begründen. Eine Missbrauchsgebühr (§ 34 BVerfGG) kann das Bundesverfassungsgericht auferlegen, wenn z. B. eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Äußerung des Richters, so führte das OLG aus, lege eine Interpretation nahe, dass er das Vorbringen der Beklagtenpartei für substanzlos und missbräuchlich ansieht.
Ein weiterer Grund war die Bemerkung des Richters, dass Prozesse in München gerne so geführt werden könnten, aber nicht bei ihm in Passau.
Damit so das OLG, dränge sich der Schluss auf, dass in Passau ein anderes Prozessrecht gelte als in München, was angesichts der bundesweit einheitlich geltenden Zivilprozessordnung (ZPO) unzutreffend sei. Die Äußerung legt nahe, dass der aus München kommende Beklagtenanwalt die Anforderungen in Passau nicht erfüllen könne.
Anlässlich von mündlichen Ausführungen durch den Beklagtenanwalt äußerte der Richter, während er sich dem Klägeranwalt zuwandte, dass dieser jetzt genau zuhören möge, weil es darauf ankomme.
Dieses Verhalten kann bei objektiver Betrachtung Zweifel an der Unabhängigkeit begründen, denn es erweckt den Eindruck einer „Verbrüderung“ zwischen dem Gericht und dem Gegenanwalt.
Das OLG München stützte die Begründung letztlich auf die Gesamtschau der genannten Gründe. Es kann daher nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob einzelne Umstände für sich ausreichen würden, eine Befangenheit zu begründen.
Hintergrund: Verfahren über Befangenheitsanträge sind meistens für alle Beteiligten unangenehm. Der beanstandete Richter muss eine dienstliche Stellungnahme verfassen, was ihn von der eigentlichen Arbeit abhält. Für den Antragsteller sieht das nicht anders aus, denn mit Befangenheitsanträgen kann kein Anwalt reich werden. In solchen Verfahren geht es ums Prinzip und darum, am Ende Recht zu bekommen. Der hier entschiedene Fall gehört vergleichsweise zu den klaren Fällen und es ist anzunehmen, dass auch einzelne Gründe den Antrag gerechtfertigt hätten.
OLG München, Beschluss vom 07.02.2018 – 13 W 119/18
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