Zu den hartnäckigsten rechtlichen Missverständnissen gehört die Annahme, dass sich Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) dadurch unterscheiden, dass als Mörder verurteilt wird, wer die Tötung geplant hat, wohingegen die spontane Tötung im Affekt kein Mord, sondern ein Totschlag sei. Das stimmt aber nicht. Im deutschen Recht ist der Umstand, ob eine Tat geplant oder spontan erfolgte für die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ohne Bedeutung. Richtig ist, dass wegen Mordes verurteilt wird, wer einen anderen Menschen tötet und – das zeichnet den Mord aus – mindestens ein Mordmerkmal hinzutritt. Die immer wieder kolportierte Annahme, dass es auf die Planung der Tat ankomme, stammt offenbar aus amerikanischen Filmen und der dort geltenden Rechtslage.
Der Mordparagraph (§ 211 StGB) ist ein Fremdkörper im deutschen Recht, denn mit dem Prinzip des Täterunrechts weicht er von dem sonst im deutschen Strafrecht geltenden Prinzip des Tatunrechts ab. In § 211 StGB kommt das durch folgende Formulierungen zum Ausdruck:
„Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ (§ 211 Absatz 1 StGB)
„Mörder ist, wer …“ (§ 211 Absatz 2 StGB).
Den geborenen Mörder sollte es im deutschen Recht aber eigentlich nicht geben, und ein Blick in andere Strafnormen zeigt, dass es den „Täter“ nicht gibt, sondern dass wegen einer Straftat bestraft wird, wer bestimmte unter Strafe gestellte Tathandlungen verwirklicht. Im Strafgesetzbuch ist das bei nahezu allen Delikten der Fall, nachzulesen ist das beim Diebstahl (§ 242 StGB), bei der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) oder bei der Körperverletzung (§ 223 StGB) – keines der Delikte kennt den „Dieb“, den „Schädiger“ oder den „Schläger“. Entscheidend ist vielmehr, ob bestimmte Handlungen begangen worden sind.
Das Täterunrecht ist ein Relikt der NS-Zeit, denn zu dieser Zeit hat der Paragraph seine konzeptionelle Gestalt bekommen. Hintergrund ist die der völkischen Gedankenwelt entstammende Tätertypenlehre, deren Anhänger nach dem Ende der Nazizeit schnell das neue Konzept des Tatunrechts propagierten. Skandalös daran ist, dass dieselben Juristen in der jungen Bundesrepublik teilweise BGH-Richter wurden oder andere verantwortliche Positionen bekleideten, aber das ist ein anderes Thema. Seither hat sich im StGB viel geändert, trotz mehrerer großer StGB-Novellen ist eine Abkehr vom Täterunrecht beim Mordparagraphen aber bisher nicht erfolgt, obwohl das längst überfällig wäre.
Mord nach § 211 StGB ist nach der herrschenden Ansicht eine so genannte Qualifikation, die das Vorliegen des Grundtatbestands, nämlich des Totschlags (§ 212 StGB), voraussetzt. Die Reihenfolge der Paragraphen irritiert, denn erwarten würde man bei einer Qualifikation zuerst den Grundtatbestand und dann die Qualifikation – beim Mord ist das umgekehrt. Auch das ist ein Überbleibsel aus früherer Zeit, als Mord noch als eigenständiges Delikt und nicht als Qualifikationstatbestand angesehen worden ist.
Die Qualifikation beinhaltet Mordmerkmale. Bei Hinzutreten eines dieser Merkmale droht dem Totschläger eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Wenn zur Tötung eines der folgenden Mordmerkmale hinzukommt, handelt es sich um Mord, die Tötung erfolgte
Sowohl für den Grundtatbestand (§ 212 StGB) als auch für die Qualifikation (§ 211 StGB) ist es egal, ob die Tat geplant war oder spontan erfolgte.
Mord unterliegt keiner Verjährung und kennt nur ein Strafmaß – lebenslang. Praktisch bedeutet das aber nicht für die Dauer des Lebens. Vielmehr haben Täter regelmäßig nach 15 Jahren eine Chance auf Entlassung oder Hafterleichterungen, es sei denn dass eine an die Haft anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet oder eine besondere Schwere der Schuld festgestellt worden ist. In diesen Fällen bedeutet lebenslang tatsächlich lebenslang.
Ein höheres Strafmaß als die lebenslange Freiheitsstrafe gibt es im deutschen Recht nicht, insbesondere gibt es in Deutschland keine Strafe wie mehrmals lebenslang oder mehrere hundert Jahre, wie in den Vereinigte Staaten von Amerika.
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