Bei der Eröffnung von Testamenten treten zuweilen große Überraschungen auf, etwa dann, wenn der Erblasser zu Lebzeiten nicht mehr ganz zurechnungsfähig war und Personen bedacht hat, die offenkundig Einfluss auf die Erstellung des Testaments genommen haben. Gesetzliche Erben haben in solchen Fällen die Möglichkeit, die Wirksamkeit des Testaments zu bestreiten. Formal geschieht dies im Erbscheinverfahren. In einem vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. entschiedenen Fall hatte die Erblasserin in ihrem Testament für ihre Verwandten nachteilige Regelungen getroffen. Unter den einleitenden Worten:
“Mein Testament! Ich bin im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte. Mein letzter Wille:“
vermachte sie ihr Hausgrundstück zwei Personen, die sie zuvor als Privatdetektive zum Schutz gegen Einbrecher beauftragt hatte, die bei ihr zahlreiche Überwachungskameras installiert hatten und sich in der Zeit vor dem Tod häufig bei ihr aufhielten. Ihr Neffe wurde mit 30.000 Euro und ihre Freundinnen mit 3.000 und 2.000 Euro bedacht. Unter der Unterschrift findet sich der Zusatz
„Mein letzter Wille! Die Verwandtschaft soll nichts mehr erhalten“.
Die leer ausgegangenen gesetzlichen Erben waren erschüttert und wandten ein, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Bedeutung des Testaments richtig einzuschätzen. So habe die Erblasserin an einer krankhaften Angst vor Einbrechern gelitten und nahezu allen Personen, mit denen sie Kontakt hatte, von der in Wahrheit nicht existierenden Verfolgung durch Einbrecher, die über den Keller oder das Dachgeschoss eingedrungen seien, berichtet. Die Einbrecher hätten Gegenstände entwendet und bei anderer Gelegenheit wieder zurückgebracht und dafür andere Gegenstände gestohlen. Das Testament sei daher nichtig. Die Detektive hielten entgegen, dass allein der Umstand, dass jemand Angst vor Einbrechern habe, nicht gegen die Testierfähigkeit der Erblasserin spreche. Vielmehr sei es ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen, die Verwandten nicht erben zu lassen, da diese sich nicht ausreichend um sie gekümmert hätten. Dass sie selbst als Erben bedacht worden sind, sei hingegen ein Zeichen der ehrlichen Zuneigung.
Das Nachlassgericht gelangte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Überzeugung, dass die fehlende Testierfähigkeit nicht feststehe. Zwar könne eine Testierunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden, jedoch habe der Sachverständige angegeben, dass es durchaus sein könne, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments einen „lichten Moment“ gehabt habe und möglicherweise durchaus habe erkennen können, worum es ging. Das Nachlassgericht konnte daher nicht ausschließen, dass die Erblasserin testierfähig war und behandelte das Testament als gültig. Die enttäuschten gesetzlichen Erben erhoben gegen die Entscheidung Beschwerde. Mit Erfolg: Das OLG Frankfurt a.M. hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung an das Nachlassgericht zurück. Das OLG Frankfurt beanstandete einen Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip (§ 26 FamFG, § 2358 BGB) und behandelte eine Reihe von interessanten Fragen zur Testierfähigkeit.
Bei der Ermittlung der Testierfähigkeit – so das OLG – hat eine sorgfältige Untersuchung zu erfolgen, bei der die Vorgeschichte und alle äußeren Umstände einzubeziehen sind. Diesen Anforderungen ist das Nachlassgericht nicht gerecht geworden.
Testierunfähig ist, wer wegen
nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 2229 Absatz 4 BGB). Das setzt voraus, dass die Erwägungen des Erblassers und dessen Willensentschlüsse nicht auf einer normalen Würdigung der Lebensverhältnisse und Umstände beruhen, sondern durch krankhafte Gedanken und Vorstellungen so erheblich beeinflusst werden, dass eine freie Entscheidung nicht mehr möglich ist und der Willensentschluss von krankhaften Einwirkungen beherrscht wird. Die Unfreiheit der Willensbildung kann darin bestehen, dass sich der Erblasser keine Vorstellung von der Bedeutung und Tragweite des Testaments hat. Sie kann aber auch darin bestehen, dass der Erblasser durch seinen Geisteszustand im Hinblick auf seine Motive beeinflusst wird.
Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von möglichen Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln. Ob die Festlegungen im Testament angemessen sind, spielt dafür keine Rolle, vielmehr geht es allein darum, ob die Willensentschließung frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte. Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte. Eine Differenzierung nach dem Schwierigkeitsgrad des Testaments verbietet sich. Die Anforderungen an die Testierfähigkeit sind entweder gegeben oder nicht.
Zu beachten ist, dass intellektuelle Defizite nicht notwendigerweise Voraussetzung der Testierunfähigkeit sind, sondern dass eine Testierunfähigkeit durchaus auch vorliegen kann, wenn kein Versagen auf intellektuellem Gebiet festzustellen ist. Das ist dann der Fall, wenn die Freiheit des Willensentschlusses durch krankhafte Störungen der Willensbildung aufgehoben ist. Der Umstand, dass der Erblasser bis zu seinem Tod in der Lage war, sich selbst zu versorgen und seine Angelegenheiten wahrzunehmen, spricht nicht gegen die Testierunfähigkeit. Je nach Grad der Beeinträchtigung kann daher ein unter Demenz leidender pflegebedürftiger Erblasser trotz eingeschränkter intellektueller Fähigkeiten testierfähig sein, wohingegen ein Erblasser, der an Wahnvorstellungen leidet, nicht testierfähig sein kann.
Endogene Psychosen bzw. wahnhafte Störungen sind vom „normalen“ Altersstarrsinn abzugrenzen, der die Testierfähigkeit grundsätzlich nicht beeinflusst. Der Annahme einer krankhaften Wahnvorstellung steht nicht entgegen, dass der Erblasser ein formal und inhaltlich nicht zu beanstandendes Testament verfasst hat, welches keine Anzeichen von Wahnvorstellungen erkennen lässt. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Erblasser in der Lage war, ein von seinen Wahnvorstellungen unbeeinflusstes Urteil über das Testament zu bilden. Wahnhafte Störungen können dann die freie Willensbildung zur Testamentserrichtung ausschließen, wenn sie krankhaft sind. Das ist dann der Fall,
Für solche Wahnvorstellungen spricht, wenn der Betroffene von seinen Wahnideen beherrscht wird, was dadurch Ausdruck finden kann, dass der Betroffene seine Wahnideen fortlaufend ausbaut und bei jeder Gelegenheit geltend macht. Für die Bejahung der Testierunfähigkeit muss hinzukommen, dass sich die Wahnvorstellungen auf Themen beziehen, die für die Willensbildung in Bezug auf die Testamentserrichtung relevant sind.
Die krankhafte Wahnvorstellung ist wiederum von der Psychopathie abzugrenzen. Dabei handelt es sich um eine schwere Form der Persönlichkeitsstörung, die grundsätzlich keine Testierunfähigkeit zur Folge hat. Wer eine solche antisoziale Persönlichkeitsstörung hat, ist durchaus in der Lage, Bedeutung und Tragweite eines Testaments kraft unbeeinflussten Willensentschlusses einzuschätzen.
Nachlassgerichte müssen daher im Rahmen der Amtsermittlung auffällige Verhaltensweisen des Erblassers ermitteln und aufklären, ob zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit vorgelegen haben. Wenn Zweifel an der Testierfähigkeit nicht ausgeräumt werden können, ist sachverständige Hilfe hinzuzuziehen. Der Sachverständige hat sodann anhand der bekannten Tatsachen einen medizinischen Befund zu erstellen, aus dem die Willensbildungsfähigkeit des Erblassers hervorgeht. Aufgabe des Nachlassgerichts ist es dann, das Gutachten auf Sachlichkeit und Schlüssigkeit zu prüfen sowie, ob der Gutachter den zutreffenden Begriff der Testierunfähigkeit verwendet hat und ob das Gutachten den allgemeinen Anforderungen entspricht. Bei der Fortsetzung des Verfahrens wird das Nachlassgericht diese Maßgaben zu beachten haben.
Hintergrund: Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. behandelt keine grundlegend neuen Fragestellungen, fasst die bei der Prüfung der Testierfähigkeit zu beachtenden Aspekte aber in nahezu lehrbuchartiger Form zusammen und bietet für Nachlassgerichte daher eine sehr gute Richtlinie. Der in älteren Entscheidungen des Bayrischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) anzutreffenden Auffassung, die nicht klar zwischen der für die Testierfähigkeit relevanten Wahnvorstellungen und Psychopathie unterschiedet, erteilen die Frankfurter Richter eine Absage. Für die Rechtsanwendung ist die Entscheidung daher nicht zuletzt aufgrund der stringenten Anwendung der Begriffe von großer Bedeutung.
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17.08.2017 – 20 W 188/16
Wer sich nach getaner Arbeit duscht oder wäscht, kann hierfür unter Umständen Vergütung verlangen. Das…
Wer als Fahrgast in einem Linienbus mitfährt, sollte sich einen Sitzplatz suchen oder zumindest sehr…
Wer in einem Mehrfamilienhaus lebt, ist nicht immer glücklich mit seinen Nachbarn. Insbesondere wenn es…
Das Landessozialgericht Berlin–Brandenburg (LSozG Berlin-Brandenburg) stellte in einem aktuellen Urteil klar, dass ein Sturz während…
Der Verkauf eines angeblich „kerngesunden“ in Wirklichkeit aber kranken Hundes durch die Stadt Ahlen an…
Die Frage, ob ein Wegeunfall ein Arbeitsunfall ist, wird oft erst vor Gericht geklärt. Lehnt…