Bäume verursachen zumeist nur im näheren Umfeld Schäden, und zwar durch abbrechende Äste oder durch Umstürzen bei Unwettern. Dass ein Baum einmal für Schäden auf benachbarten Grundstücken ursächlich ist, erscheint kaum denkbar. Über einen solchen Fall hatte aber der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden (III ZR 574/16): Die Wurzeln einer Kastanie hatten einen Abwasserkanal durchwachsen und führten dazu, dass dieser nur noch eine geringere Menge an Regenwasser abführen konnte als vorgesehen. Bei starken Niederschlägen führte das dazu, dass auf dem benachbarten Grundstück der Klägerin ein Rückstau entstand und der Keller überflutet wurde. Die Klägerin verlangte daraufhin von der Stadt, die auch Betreiberin des Abwasserkanals und Eigentümerin des Grundstücks ist, auf dem die Kastanie steht, Schadensersatz. Die Stadt fühlte sich für den Schaden nicht verantwortlich und wandte unter anderem ein, dass das Grundstück der Klägerin nicht über eine in der örtlichen Abwassersatzung vorgeschriebene Rückstausicherung verfügte. Der BGH hat entschieden, dass die fehlende Rückstausicherung Ansprüche der Klägerin nicht ausschließt. Eigentümer von Grundstücken, auf denen Bäume stehen, sind grundsätzlich für diese Bäume verkehrssicherungspflichtig. Art und Umfang sowie Kontrolldichte der Verkehrssicherung hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Kontrollpflichten können auch in Bezug auf eine Verwurzelung des Abwasserkanals bestehen, wobei die räumliche Nähe des Baums zum Kanal ebenso eine Rolle spielt wie Baumart, Alter des Baumes und Wurzelcharakteristik – z. B. Flachwurzler, Tiefwurzler oder Herzwurzler – und die Zumutbarkeit von Kontrollen. Baumeigentümer müssen regelmäßig nicht den Kanal überprüfen, wenn dieser durch einen Dritten betrieben wird. Hier lag der Fall aber anders, denn der Kanal wurde von der Stadt betrieben. Das bedeutet, dass die Stadt im Rahmen regelmäßiger Inspektionen am Kanal durchaus hätte erkennen können, ob Anzeichen für eine Verwurzelung des Kanals vorhanden waren. Da das von den Vorinstanzen nicht ermittelt worden ist, wurde die Entscheidung zur abermaligen Verhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Dass ein Grundstückseigentümer für einen Baum verkehrssicherungspflichtig ist, ist nicht neu. Unter Verkehrssicherungspflicht versteht man die Pflicht, eine Sache in einem Zustand zu halten, der verhindert, dass andere, die mit der Sache in Berührung kommen, nicht gefährdet werden. Morsche Äste müssen daher ebenso beseitigt oder gesichert werden wie umsturzgefährdete Bäume, beispielsweise wenn diese durch Blitzschlag, Krankheit oder Unwetter geschwächt sind und einen Schaden verursachen können. Wer diese Pflicht nicht erfüllt, kann für entstehende Schäden verantwortlich gemacht werden. Der BGH hat klargestellt, dass die Verkehrssicherungspflicht nicht bloß über der Erde gilt, sondern sich auch auf das Wurzelwerk eines Baumes erstreckt. Eine wichtige Erkenntnis der Entscheidung ist, dass Wurzeleinwachsungen in Kanäle grundsätzlich nicht zum Kontrollpensum des Grundstücks- und Baumeigentümers gehören. Damit schafft das Gericht eine Abgrenzung zu den Pflichten der Kanalbetreiber: Grundsätzlich ist es nämlich Sache des Kanalbetreibers, den Kanal von Einwachsungen frei zu halten. Da hier sowohl der Baum als auch der Kanal in den Zuständigkeitsbereich der Stadt fielen, war diese für beides verantwortlich. Dass die Stadt mit ihrem Argument der fehlenden Rückstausicherung auf dem Grundstück der Klägerin nicht erfolgreich war, ist zu begrüßen. Denn dafür muss sich die Klägerin ein Mitverschulden nach § 254 BGB anrechnen lassen, sodass sich der von der Stadt zu ersetzende Schaden entsprechend ihres Mitverschuldensanteils reduziert. Ein Wegfall des Anspruchs aufgrund der fehlenden Rückstausicherung hätte die unerträgliche Folge gehabt, dass sich die Stadt durch Regelungen in der örtlichen Abwassersatzung ihren Pflichten als Baumeigentümerin und Kanalbetreiberin hätte entziehen können.
Im weiteren Verfahren wird zu ermitteln sein, in welchem Umfang die Stadt Verkehrssicherungspflichten verletzt hat. Dabei werden Inspektionsintervalle bzgl. des Kanals ebenso eine Rolle spielen wie die Erkennbarkeit von Einwachsungen. Für Städte und Gemeinden sendet die Entscheidung ein wichtiges Signal: befinden sich nämlich auf städtischen Grundstücken sowohl Kanäle als auch Bäume, besteht ein Haftungsrisiko. Kanäle sollten daher in potenziell gefährdeten Bereichen einer eingehenden Kontrolle unterzogen werden. Anliegern, die von verwurzelten Kanälen betroffen sein können, ist zu raten, Anzeichen, die für eine Verwurzelung sprechen, frühzeitig an die Gemeinde zu melden. Grund: die aufgrund einer Verkehrssicherungspflicht entstehende Handlungspflicht zur Beseitigung von Gefahren resultiert nicht bloß aus Kontrollen, sondern auch aus der Kenntnis von Umständen, die auf Gefahren hindeuten.
Für Fälle, in denen Bäume benachbarte Grundstücke durch hinüberragende Äste oder hinüberwachsende Wurzeln beinträchtigen, ist vorrangig die Möglichkeit der Beseitigung nach § 910 BGB zu verweisen. Zwar schließt dies die Verkehrssicherungspflicht des Baumeigentümers nicht aus. Für eine Haftung ist aber zumindest bei Wurzeln, die auf dem Nachbargrundstück Schäden anrichten, regelmäßig kein Raum, denn der Nachbar darf nicht nach dem Prinzip „dulde und liquidiere“ bei der Schadensentstehung zusehen und dann Schadensersatz verlangen (§§ 254, 242 BGB).
BGH, Urteil vom 24.08.2017 – III ZR 574/16
OLG Braunschweig, Urteil vom 16.11.2016 – 3 U 31/16
LG Braunschweig, Urteil vom 08.04.2016 – 7 O 2424/12
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