Verbrauchern steht bei so genannten Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zu. Dabei handelt es sich um Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden. Wer Waren online bestellt, kann diese grundsätzlich ohne Angabe von Gründen zurückgeben. Das Gesetz enthält aber auch Ausnahmen von diesem Grundsatz, etwa dann, wenn die Ware versiegelt war und die Versiegelung vom Kunden entfernt worden ist und die Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht für die Rückgabe geeignet ist (§ 312g Absatz 2 Nummer 3 BGB).
Über einen solchen Fall hat der Bundesgerichtshof zu entscheiden: Der Kunde hatte online eine Matratze zum Preis von 1.094,52 Euro erworben. Diese war mit einer Schutzfolie versehen, die der Kunde entfernte. Einige Tage später erklärte er den Widerruf des Kaufs und forderte den Verkäufer auf, den Rücktransport der Matratze mit einer Spedition zu organisieren. Der Verkäufer kam der Aufforderung nicht nach, woraufhin der Kunde den Rücktransport selbst organisierte. Die Kosten in Höhe 95,59 Euro verlangte der Kunde vom Verkäufer erstattet und bekam sowohl vor dem Amts- als auch vor dem Landgericht Recht. Nach Auffassung der Gerichte sei der Widerruf nicht nach § 312g Absatz 2 Nummer 3 BGB ausgeschlossen, denn maßgeblich für die Vorschrift ist, ob der Verkäufer die Ware wiederveräußern könne. Dass damit ein gewisser Reinigungs- und Wiederherrichtungsaufwand verbunden sein kann, sei unschädlich.
Der BGH tendiert dazu, die vorinstanzlichen Entscheidungen zu bestätigen. Er hat aber in der Sache nicht entschieden, sondern die Sache dem EuGH vorgelegt. Denn die deutsche Vorschrift, nach der die Rückgabe von versiegelten Waren unzulässig ist, wenn die Versiegelung entfernt worden ist (§ 312g Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 BGB) geht auf die inhaltsgleiche europarechtliche Norm des Art. 16 Buchstabe e der Verbraucherrechterichtlinie zurück. Diese Vorschrift ist zwar inhaltlich gleichlautend mit der deutschen Vorschrift, allerdings ist nicht klar, wie die Vorschrift im Einzelnen zu verstehen ist. Deshalb legt der BGH dem Europäischen Gerichtshof die für die Entscheidung relevanten Fragen vor:
Frage 1: Ist das Widerrufsrecht nach der Ausnahmevorschrift des Art. 16 lit. e Verbraucherrechterichtlinie auch ausgeschlossen bei Waren, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zwar mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, die aber – möglicherweise mit einem gewissen Aufwand – wieder verkehrsfähig gemacht werden können, sodass sie ggfls. als gebrauchte Waren verkauft werden können?
Frage 2: Wie muss eine “Versiegelung” beschaffen sein, damit sie die Anfoderungen an Art 16 lit. e der Richtlinie erfüllt und wie muss der Hinweis über die Umstände des Erlöschens des Widerrufsrechts lauten?
Die Vorlagefragen haben eine enorme praktische Bedeutung, denn sie betreffen Vorgänge, wie sie täglich tausendfach passieren. Und der Streit berührt nicht bloß Matratzenhändler, sondern große Bereiche des Online-Handels.
Allgemein anerkannt ist, dass Verbraucher ihr Widerrufsrecht nicht dadurch verlieren, dass sie eine Ware inspizieren. Dazu gehört grundsätzlich auch, dass eine Ware ausgepackt und ausprobiert werden kann. Angesichts des bei Fernabsatzgeschäften als Regelfall vorgesehenen Widerrufsrechts sind die vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmetatbestände eng auszulegen. Dabei begegnet es keinen Bedenken, wenn die vorinstanzlichen Gerichte bei der Beantwortung der Frage, ob eine Ware nicht zur Rückgabe geeignet ist, an die Wiederverkaufseignung anknüpfen, denn ebenso wie bei herkömmlichen Verpackungen würde ein Abstellen auf die Unberührtheit einer Schutzfolie zur Folge haben, dass das Widerrufsrecht durch aufwendige Verpackungen beschränkt werden würde. Dadurch würde das eigentliche Ziel des Gesetzes unterlaufen und in erheblichem Umfang zur Disposition der Verkäufer oder Hersteller von Waren gestellt werden. Gründe des Gesundheitsschutzes und der Hygiene im Sinne von § 312 Absatz 2 Nummer 3 BGB müssen vielmehr “zwingende” Gründe sein. Praktisch beschränkt sich der Ausschluss des Widerrufsrechts daher auf versiegeltes medizinisches Verbandsmaterial, Tampons und dergleichen.
Der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird besonders von Onlinehändlern mit Spannung entgegen gesehen. Denn sie hat das Potenzial, den ohnehin von erheblichem Preisdruck getriebenen Internethandel noch weiter unter Druck zu setzen. Im Internet tätige Händler klagen bereits seit längerem über geringe Margen und eine hohe Rücksendequote. Durch ein klares Wort zur restriktiven Interpretation von § 312 Absatz 2 Nummer 3 BGB wird sich der Trend noch verstärken. Aber des Einen Leid ist des Andern Freud, denn klassische “analoge” Händler, die ihre Ware in Ladengeschäften zum Anfassen anbieten, werden der Entscheidung etwas Gutes abgewinnen.
BGH, Beschluss vom 15.11.2017 – VIII ZR 194/16
LG Mainz – Urteil vom 10.08.2016 – 3 S 191/15
AG Mainz – Urteil vom 26.11.2015 – 86 C 234/15
Wer sich nach getaner Arbeit duscht oder wäscht, kann hierfür unter Umständen Vergütung verlangen. Das…
Wer als Fahrgast in einem Linienbus mitfährt, sollte sich einen Sitzplatz suchen oder zumindest sehr…
Wer in einem Mehrfamilienhaus lebt, ist nicht immer glücklich mit seinen Nachbarn. Insbesondere wenn es…
Das Landessozialgericht Berlin–Brandenburg (LSozG Berlin-Brandenburg) stellte in einem aktuellen Urteil klar, dass ein Sturz während…
Der Verkauf eines angeblich „kerngesunden“ in Wirklichkeit aber kranken Hundes durch die Stadt Ahlen an…
Die Frage, ob ein Wegeunfall ein Arbeitsunfall ist, wird oft erst vor Gericht geklärt. Lehnt…