Groteske Anforderungen an Nachweis bei nicht zugegangenen Schriftstücken (OVG M-V, Beschl. v. 27.06.2016 – 2 M 67/16)

Im Verwaltungsrecht gilt für den Zugang bei der Übersendung per Post eine so genannte Zugangsfiktion (§ 41 Absatz 2 VwVfG). Danach gilt ein Schriftstück drei Tage nach Augabe zur Post als zugegangen. Diese Fiktion tritt nach dem Wortlaut des Gesetzes dann nicht ein, wenn das Schriftstück später oder gar nicht zugegangen ist. In diesen Fällen trägt die absendende Behörde die Beweislast für den Zugang.

Das OVG Greifswald hatte über den Zugang von Rundfunkbeitragsbescheiden zu entscheiden, bei denen der Adressat den Zugang bestritten hatte (OVG Greifswald, Beschluss vom 27.06.2016 – 2 M 67/16). Nach Auffassung des OVG-Senats genügt die Behörde ihrer Darlegungs- und Beweislast (vgl. § 41 Absatz 2 Satz 4 VwVfG M-V), wenn nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins Tatsachen vorgetragen werden, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden kann, dass der Adressat den Bescheid tatsächlich erhalten haben muss und wenn sie einen Vermerk über die Aufgabe zur Post vorweisen kann. Sodann ist es Sache des Adressaten, den unterbliebenen oder späteren Zugang zu erschüttern. Dazu genüge das reine Behaupten des unterbliebenen oder späteren Zugangs nicht. Erforderlich sei vielmehr der substantiierte Vortrag eines atypischen Geschehensablaufs. Daran fehlte es in dem entschiedenen Fall. Das Gericht zog zwar in Erwägung, dass Postsendungen verloren gehen können. Das sei aber bei drei Beitragsbescheiden und drei Mahnungen nicht denkbar, zumal nicht ein einziges Schreiben als unzustellbar zurückgeschickt worden sei. Da es in dem Fall an einer substantiierten Darlegung von Tatsachen zu einem unregelmäßigen Postzugang in dem betreffenden Zeitraum gefehlt hat, erscheine das Vorbringen des Adressaten nicht glaubhaft.

Die durch das OVG gewählte Formulierung, dass die Bescheide wirksam bekannt gegeben worden seien, ist missverständlich. Richtig ist vielmehr, dass die Bescheide als wirksam zugestellt gelten. Denn es handelt sich bei der gesetzlichen Fiktion um eine Regelung, nach der die Zustellung als bewirkt gilt. Und nichts andere prüft das OVG in seiner Entscheidung. Die Entscheidung des OVG Greifswald ist aus praktischen Gründen durchaus zu begrüßen, denn wenn ein einfaches Bestreiten die Zugangsfiktion verhindern würde, würde das einer Lahmlegung der Verwaltung gleichkommen. Über das Wo-Kommen-Wir-Denn-Sonst-Hin Argument hinaus begegnet die Rechtsauffassung des Gerichts aber Bedenken: Denn es ist jemandem, der tatsächlich einen Brief nicht erhalten hat, schlichtweg nicht möglich, Dinge zu beweisen, die es nicht gibt. So bleibt das OVG eine Erklärung darüber schuldig, wie der Adressat die außerhalb seiner Sphäre liegenden Umstände einer unregelmäßigen Postverteilung in dem fraglichen Zeitraum nachweisen soll. Das überrascht nicht, denn der Adressat ist dazu objektiv nicht in der Lage. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Entscheidung daher nur schwer zu ertragen.

Trennung der Sphären

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts M-V ist beim Bestreiten des Zugangs durch den Adressaten und den Anforderungen an das Erschüttern der Zugangsfiktion nach Sphären zu unterscheiden. Dem Adressaten darf nicht abverlangt werden, interne Umstände bei der Post oder privaten Zustlelldiensten zu ermitteln, da er das nicht kann. Es muss daher ausreichen, wenn der Adressat darlegt und glaubhaft macht, wie er regelmäßig und in der fraglichen Zeit den Inhalt seines Briefkastens überprüft hat und dabei das Schriftstück in seinem Briefkasten nicht vorgefunden hat.

OVG Greifswald, Beschluss vom 27.06.2016 – 2 M 67/16

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