Anrede mit „Herr“ oder „Frau“ rechtswidrig bei nicht-binären Menschen ohne männliche oder weibliche Geschlechtsidentität (LG Frankfurt, Urt. v. 03.12.2020 – 2-13 O 131/20)

Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen wollen, sind nicht als „Herr“ oder „Frau“ anzusprechen. Das hat das Landgericht Frankfurt entschieden.

… klagende Person

Geklagt hatte eine Person, die sich weder als Mann noch als Frau sieht. Solche so genannten nicht-binären Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zuordnen lassen wollen, sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt (BVerfG – 2 BvR 2019/16). Sie können – so das BVerfG – neben männlich und weiblich eine dritte Kategorie im Personenstandsregister beanspruchen.

In diesem Sinne entschieden auch die Frankfurter Richter.

Die klagende Person verlangte Unterlassung, Ersatz von Anwaltskosten und Geldentschädigung nach dem AGG.

Rabatt nur für „Herr“ oder „Frau“

Anlass der Klage war eine Online-Rabattaktion, bei der sich Teilnehmer zu registrieren hatten. Bei der Eingabemaske mussten Teilnehmer zwischen „Herr“ oder „Frau“ wählen. Für nicht-binäre Personen ist das unmöglich.

Das LG Frankfurt gab dem Unterlassungs- und Erstattungsbegehren statt. Einen Verstoß gegen das AGG verneinte das Gericht, da nicht-binäre Personen bei der Rabattaktion nicht benachteiligt worden seien. Der Anspruch sei aber herzuleiten aus § 823 Absatz 1, entsprechend § 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB.

Der Umstand, dass bei der Rabattaktion nur „Herr“ oder „Frau“ zu wählen war, berühre in rechtswidriger Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht der klagenden Person (Art. 2 Absatz 1 i.V.m. Art. 1 Absatz 1 GG). Dem Beklagten sei es möglich und zumutbar, entweder auf die Auswahl zwischen Mann und Frau zu verzichten oder eine dritte Kategorie zu ergänzen.

Ein Anspruch auf Geldentschädigung verneinte das Gericht indessen. § 21 AGG sei nicht anwendbar und bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind Geldentschädigungen nur bei schwerwiegenden Verletzungen zuzubilligen. Eine solche erkannte das Landgericht hier nicht.

Hintergrund

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Entscheidung konsequent. Durchaus lobenswert sind auch die in der Entscheidung enthaltenen Ausführungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

In einem Punkt liefert die Entscheidung allerdings keine Antwort: Es ist keine Rechtsgrundlage dafür ersichtlich, dass die klagende Person die Änderung der Anrede verlangen kann. Weder der Beklagte noch die klagende Person sind zum Vertragsschluss verpflichtet. Die klagende Person kann sich ohne Weiteres der ungerechten Behandlung entziehen, indem sie nicht an der Rabattaktion teilnimmt.

Der hier fehlende Kontrahierungszwang bleibt in der Entscheidung gänzlich unbeleuchtet. Für die Begründung des Anspruchs wäre dies aber notwendig gewesen. Denn individuelle Rechte kann nur geltend machen, wer selbst betroffen ist. Nach der Entscheidung des LG Frankfurt käme nicht-binären Menschen die Rolle von Polizisten zu, die bei allen an die Öffentlichkeit gerichteten Angeboten einschreiten dürften. Das gibt das deutsche Recht nicht her. Die Entscheidung ist daher unrichtig und wird in der Berufung keinen Bestand haben.

Anders sähe es aus, wenn die nicht-binäre Person in einem Vertragsverhältnis mit dem Beklagten stünde. Gleiches gilt für Fälle, bei denen es um lebenswichtige Leistungen geht, wie Strom-, Wasser- oder Internetversorgung. Anders als bei der Registrierung zu einer Rabattaktion besteht bei solchen Angeboten oft keine Wahlfreiheit, sodass sich nicht-binäre Personen der ungerechten Behandlung nicht entziehen können.

LG Frankfurt, Urteil vom 03.12.2020 – 2-13 O 131/20

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