Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt in einer neuen Entscheidung geringe Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten im Prozess.
Ein Bestreiten ist im Zivilprozess ist nur dann beachtlich, wenn es substantiiert erfolgt. Das ergibt sich aus § 138 Absatz 2 ZPO, wonach sich eine Partei zum Sachvortrag der anderen Partei zu äußern hat.
Einem detaillierten Sachvortrag kann man deshalb nicht einfach ein „nein“ entgegensetzen. Vielmehr gilt das Prinzip, dass, je detaillierter eine Partei vorträgt, umso höher die Anforderungen an das Bestreiten sind. Das bedeutet, dass dem Bestreiten oft ein hoher Grad an Details abverlangt wird.
Der BGH hatte nun darüber zu entscheiden, welche Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten zu stellen sind.
Gestritten wurde über Schadensersatz nach einem Bahnunfall. Ein Güterzug war entgleist und der Betreiber des Zugs sollte den Schaden ersetzen. Ob der Zugführer beim Wechsel der Lok am Waggon 316, dem 16. Wagen des Zugs, die Bremse betätigt hat, blieb streitig. Fest stand aber, dass nach der Fortsetzung der Fahrt Waggon 316 entgleiste und der Zug zwischen den Waggons 317 und 318 auseinanderriss. Eine anschließende Zwangsbremsung brachte den Zug zum stehen. Eine Untersuchung gelangte zu dem Ergebnis, dass der Unfall auf eine Feststellbremse am Waggon 316 zurückzuführen war. Offenbar vergaß der Lokführer, diese vor Fahrtantritt zu lösen.
Die Ergebnisse der Untersuchung waren eindeutig. Die Radsätze 3 und 4 des Waggons 316 wiesen Spuren einer Blockierung auf. Auf den Gleisen befanden sich Schleifspuren. Außerdem fanden sich im Gleisbett Metallabtragungen, wie sie bei einer Blockierung entstehen. Demgegenüber wiesen die Radsätze 1 und 2 des Waggons nur Schäden auf, die auf die Entgleisung zurückzuführen sind.
Der Beklagte ließ sich davon nicht beeindrucken. Er bestritt, dass das Entgleisen auf einen in seiner Verantwortung liegenden Umstand zurückzuführen ist. Die Radsätze 3 und 4 hätten unterschiedliche Schäden aufgewiesen, bei einer vergessenen Bremse hätten die Schäden aber identisch sein müssen. Denkbar sei auch, dass Gegenstände im Gleisbett lagen oder eine defekte Weiche den Unfall verursachte.
Das Bestreiten ließen die Vorinstanzen nicht gelten. Das Bestreiten sei unbeachtlich, weil die Ausführungen zu Alternativursachen rein spekulativ und nicht hinreichend substantiiert seien. Der Beklagte könne die detaillierten Darlegungen nicht einfach verneinen und Spekulationen in den Raum stellen. Vielmehr hätte er konkrete Anhaltspunkte für Alternativursachen nennen müssen. Diese Anforderungen erfüllten seine Darlegungen nicht. Eine Beweisaufnahme sei deshalb nicht erforderlich.
Der zum Schadensersatz verurteilte Beklagte wandte sich mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH und rügte unter anderem, dass das OLG über sein Bestreiten hinweggegangen war.
Der BGH hob die Verurteilung auf und verwies den Streit zurück an die Vorinstanz. Zunächst bestätigte das oberste deutsche Zivilgericht, dass der Umfang der Substantiierung, also der für ein Bestreiten erforderliche Sachvortrag, davon abhängt, was die andere Partei vorgetragen hat.
Die Anforderungen an die Substantiierung dürfen aber nicht überspannt werden. Insbesondere ist den Parteien Sachvortrag, der Expertenwissen voraussetzt, nicht abzuverlangen.
„Eine Partei genügt … ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die … geeignet sind, das … geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist.“
BGH, Urteil vom 28.07.2020 – VI ZR 300/18
Die Verurteilung hätte, so die Karlsruher Richter, nicht ohne Beweisaufnahme erfolgen dürfen. Das Übergehen des Bestreitens verletzte den Beklagten daher in seinem rechtlichen Gehör (Art. 103 Absatz 1 GG). Das OLG Celle wird daher in der Sache eine Beweisaufnahme durchzuführen haben.
BGH, Urteil vom 28.07.2020 – VI ZR 300/18
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