Wird ein schwerbehinderter Bewerber von einem öffentlichen Arbeitgeber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, begründet dies die Vermutung einer Benachteiligung wegen Behinderung. Der Bewerber kann in diesem Fall eine Entschädigung verlangen, wenn der öffentliche Arbeitgeber die Vermutung nicht widerlegt. Etwas anderes gilt nur, wenn der Bewerber offensichtlich fachlich ungeeignet ist. Dies stellte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LArbG M-V) in seinem Urteil vom 07.01.2020 klar (5 Sa 128/19).
Geklagt hatte ein Mann, der sich bei der beklagten Gemeinde um eine ausgeschriebene Tätigkeit als Betriebsleiter beworben hatte. Nach der Stellenausschreibung sollten die Bewerber ein abgeschlossenes Studium in der Fachrichtung BWL, Tourismus, Marketing oder Kommunikation bzw. einen vergleichbaren Abschluss vorweisen. Auch berufliche Erfahrungen auf diesem Gebiet waren nach der Stellenausschreibung wünschenswert.
In seinem Anschreiben wies der Kläger auf seine Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung mit Schwerbehinderten hin. Der entsprechende Gleichstellungsbescheid war ebenfalls beigefügt.
Beigefügt war auch der Lebenslauf des Klägers, aus dem der umfangreiche berufliche Werdegang des Klägers hervorging. Der Kläger war sowohl im Polizeivollzugsdienst, als auch im Straßenverkehrsamt beschäftigt. Zudem absolvierte er einen Masterstudiengang, dessen Gegenstand unter anderem Marketing, Controlling und Personalmanagement waren.
Die beklagte Gemeinde prüfte die Bewerbung des Klägers. Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt der Kläger jedoch nicht. Der Kläger war der Auffassung, die Beklagte habe ihn wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Er verlangte von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung, was diese ablehnte.
Die beklagte Gemeinde behauptete, sie habe den Hinweis auf die Schwerbehinderung übersehen und diese Tatsache somit gar nicht in ihre Entscheidung einbezogen. Daher könne man von einer Benachteilung wegen Behinderung gar nicht ausgehen.
Der Kläger erhob Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht, mit Erfolg. Das Arbeitsgericht sprach dem Kläger eine Entschädigung zu. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts lag eine Benachteiligung wegen Behinderung vor. Die beklagte Gemeinde legte Berufung beim LArbG M-V ein.
Das LArbG M-V entschied: Der Kläger hat einen Anspruch auf Entschädigung!
Als Bewerber ist der Kläger wegen § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG einem Beschäftigten gleichzusetzen. Er kann daher Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG verlangen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des AGG vorliegt, so das LArbG M-V.
Nach Auffassung des LArbG M-V liegt hier ein Verstoß gegen die Benachteiligung wegen einer Behinderung vor, § 1 AGG. Das LArbG M-V weist in seinem Urteil darauf hin, dass der Kläger wegen der Beweiserleichterung des AGG nur die Indizien beweisen muss, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Die andere Partie trägt dann die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorliegt, so das LArbG M-V.
In diesem Rechtsstreit folgte die Vermutung einer Benachteiligung wegen Behinderung bereits aus dem Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX. Hierauf weist das LArbG M-V hin.
Diese Vorschrift verpflichtet einen öffentlichen Arbeitgeber dazu, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht besteht nach der Vorschrift nur dann nicht, wenn der Bewerber offensichtlich fachlich ungeeignet ist.
Gegen diese Vorschrift hat die beklagte Gemeinde nach dem Urteil des LArbG M-V verstoßen. Der Hinweis auf die Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung war dem Anschreiben des Klägers deutlich zu entnehmen. Die Behinderung war der beklagten Gemeinde nach Auffassung des LArbG M-V somit bekannt.
Der Kläger war nach Auffassung des LArbG M-V auch nicht offensichtlich fachlich ungeeignet. Die Studieninhalte seines Masterstudienganges entsprachen ohne weiteres dem Anforderungsprofil in der Stellenausschreibung, so das LArbG M-V.
Damit lag nach der Entscheidung des LArbG M-V ein Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX vor, weil die beklagte Gemeinde den Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Der Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX führt dazu, dass die Benachteiligung wegen einer Behinderung vermutet wird.
Diese Vermutung konnte die beklagte Gemeinde nach Auffassung des LArbG M-V nicht widerlegen. Welche Anforderungen an das Widerlegen der Vermutung zu stellen sind, hatte bereits das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt.
So setzt die Widerlegung den Nachweis voraus, „dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung des Bewerbers berühren (BAG, Urteil vom 20. Januar 2016 – 8 AZR 194/14).
Diesen Nachweis hat die beklagte Gemeinde nicht erbracht, so das LArbG M-V. Entsprechende Umstände wurden nach der Entscheidung des LArbG M-V nicht vorgetragen. Bei dem Vortrag der Beklagten, sie habe den Hinweis auf die Schwerbehinderung schlichtweg übersehen, handelt es sich gerade nicht um einen Umstand, der keinen Bezug zur Behinderung aufweist. So geht es aus dem Urteil hervor.
Somit konnte die Beklagte die Vermutung der Benachteiligung wegen Behinderung nicht widerlegen. Auch das von der Beklagten behauptete rechtsmissbräuchliche Verhalten im Hinblick auf eine Vielzahl von Bewerbungen zum Zwecke des Geltendmachens von Entschädigungsansprüchen konnte nicht nachgewiesen werden.
Der Kläger hatte daher einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Absatz 2 AGG, da nach dem Urteil des LArbG M-V eine Benachteilung wegen Behinderung nachgewiesen wurde. Das LArbG M-V wies aus diesem Grund die Berufung der beklagten Gemeinde zurück.
LArbG M-V, Urteil vom 07.01.2020 – 5 Sa 128/19
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