Eine Eigenbedarfskündigung kann trotz Vorliegens von Härtegründen beim Mieter rechtmäßig sein. Dies gilt, wenn die Interessen des Vermieters überwiegen, er dem Mieter eine Ersatzwohnung in unmittelbarer Nähe anbietet und den kompletten Umzug organisiert und finanziert. Eine solches Urteil fällte das Landgericht München I (LG München I) am 22.03.2019 (14 S 5271/17).
Der Eigentümer einer vermieteten Wohnung kann dem Mieter grundsätzlich wegen Eigenbedarf kündigen. Dies gilt natürlich nur, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Die Kündigung darf insbesondere keine unzumutbare Härte für den Mieter bedeuten. Bei unzumutbarer Härte kann der Mieter der Eigenbedarfskündigung gemäß §574 BGB widersprechen und das Mietverhältnis wird fortgesetzt. Zur Rechtmäßigkeit einer Eigenbedarfskündigung trotz Vorliegens von Härtegründen urteilte nun das LG München I am 22.03.2019.
Die Kläger sind Eigentümer eines Anwesens in München. In dem Haus der Kläger befinden sich drei Wohnungen, wovon nur noch eine vermietet war. Der Mieter dieser Wohnung war zum Zeitpunkt der Klageerhebung 88 Jahre alt und schwer herzkrank. Er wohnte seit 45 Jahren in dieser Wohnung. Die Kläger sind Eltern von zwei Kleinkindern und möchten ihr Haus durch Zusammenlegung aller Wohnungen allein als Familienwohnsitz nutzen. Zum Haus gehört ein Garten, der ebenfalls von der Familie genutzt werden soll.
Die Kläger kündigten das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Sie boten dem Kläger eine Ersatzwohnung in unmittelbarer Nähe an. Die Ersatzwohnung hatte ein Zimmer mehr, sollte aber zum gleichen Preis an den Beklagten vermietet werden. Darüber hinaus boten die Kläger dem Beklagten die komplette Übernahme des Umzugs an, sowohl organisatorisch als auch finanziell.
Der Beklagte widersprach der Kündigung wegen unzumutbarer Härte. Der Umzug und die damit verbundene Entwurzelung würden zu einer erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands führen, wenn nicht sogar zum vorzeitigen Tod. Der Beklagte könne unter keinen Umständen ausziehen.
Die Kläger erhoben Räumungsklage vor dem zuständigen Amtsgericht. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die Voraussetzungen der Eigenbedarfskündigung lagen nach Auffassung des Amtsgerichts zwar vor. Jedoch hatten die Kläger keinen Räumungsanspruch, da der Umzug für den Beklagten eine unzumutbare Härte bedeuten würde, so das Amtsgericht. Das Amtsgericht entschied, dass das Mietverhältnis aus diesem Grund auf unbestimmte Zeit fortzusetzen ist.
Hiermit waren die Kläger überhaupt nicht einverstanden. Sie legten Berufung beim LG München I ein. Die Kläger waren der Auffassung, das Amtsgericht hätte über den Gesundheitszustand des Beklagten ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Dem Beklagten ginge es nämlich gesundheitlich nicht ganz so schlecht, wie dieser behaupten würde. Er benutze selbständig die Treppen im Haus und kommt auch ohne Hilfe in seiner Wohnung allein zurecht. Jedenfalls sei ein Umzug nicht unbedingt mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verbunden. Das könne ganz sicher ein entsprechendes Sachverständigengutachten belegen. In jedem Fall wäre das Amtsgericht verpflichtet gewesen, ein solches Gutachten einzuholen.
Das LG München I gab den Klägern Recht. Es hob das Urteil des Amtsgerichts auf und verurteilte den Beklagten zur Räumung der Wohnung. Das Mietverhältnis wurde aufgrund der Eigenbedarfskündigung beendet, so das LG München I. Zu Gunsten des Beklagten wurde jedoch eine viermonatige Räumungsfrist bewilligt.
Auch das LG München I hat zu Gunsten des Beklagten Härtegründe im Sinne des § 574 Absatz 1 BGB anerkannt. Jedoch nahm das LG München I eine Interessenabwägung vor, die letztlich gegen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses sprach. Dem Erlangungsinteresse der Kläger war im Ergebnis der Vorzug zu geben, so das LG München I.
Die Beweisaufnahme des LG München I ergab, dass Härtegründe grundsätzlich vorlagen. Die Härte nach § 574 Absatz 1 BGB umfasst „alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können“, so das LG München I. Hierzu kann auch die Entwurzelung eines Menschen im höheren Lebensalter gehören. Das LG München I weist jedoch darauf hin, dass lediglich Unannehmlichkeiten, die mit einem Umzug verbunden sind, nicht ausreichen. Etwas anderes gilt nur, wenn sich der ohnehin schon schlechte Gesundheitszustand eines Mieters bei einem Umzug erheblich verschlechtern würde. Eine Räumungsunfähigkeit wird jedoch gerade nicht vorausgesetzt. Hierauf weist das LG München I in seinem Urteil hin. Die Räumungsunfähigkeit spielt lediglich im Rahmen des § 765a ZPO bei der sittenwidrigen Härte eine Rolle. Nicht hingegen in § 574 BGB.
Ob wirklich eine unzumutbare Härte vorliegt, hatte im vorliegenden Fall ein Sachverständiger zu prüfen. Das LG München I ließ daher ein Sachverständigengutachten zum Gesundheitszustand des Beklagten erstellen. Der Sachverständige bestätigte den äußerst schlechten Gesundheitszustand des Beklagten. Der Beklagte war tatsächlich schwer herzkrank. Zudem litt er an einer schweren Funktionseinschränkung der Niere. Der Sachverständige gab auch an, dass das Risiko einer gesundheitlichen Komplikation bei einem Umzug durchaus gegeben ist. Der Sachverständige gab jedoch auch an, dass damit ein Umzug nicht gänzlich ausgeschlossen sei. „Entscheidend sei, dass die emotionale Belastung des Beklagten, welche sich durchaus steuern lässt, gering gehalten wird“, so der Sachverständige. Ein Umzug ist aus Sicht des Sachverständigen akzeptabel.
Ist der Umzug des Mieters mit Lebensgefahr verbunden, müssen die Interessen des Vermieters zurückstehen. So verhält es sich hier jedoch nicht. Nach Aussage des Sachverständigen ist der Umzug aus medizinischer Sicht eben doch akzeptabel.
Grundsätzlich haben die Interessen des Mieters an der Erhaltung seiner Gesundheit Vorrang vor finanziellen Interessen des Vermieters. Aber der Wunsch des Vermieters, sich und seiner Familie einen angemessenen Wohnraum zu schaffen, ist vorrangig vor den Finanzinteressen des Mieters.
Die Kläger erwarben das Wohnhaus, um dort ihren Familienwohnsitz zu errichten. Die Kinder sollten eigene Kinderzimmer haben und auch den Garten wollten die Kläger mit ihren Kindern nutzen. Dies sind berechtigte Interessen eines Vermieters. Von besonderem Gewicht ist nach Auffassung des LG München I die Einschätzung des Sachverständigen, ein Umzug sei durchaus akzeptabel. Dieser müsse nur „emotional erträglich“ gestaltet werden, so der Sachverständige. Die Kläger boten bis zum Schluss an, den Umzug komplett zu organisieren und zu finanzieren. Selbst die vorhandenen Einbauten sollten in der neuen Wohnung auf Kosten der Kläger wieder verbaut werden. Da sich die Wohnung in unmittelbarer Nähe zur jetzigen Wohnung befindet, bleibt der Beklagte bei einem Umzug in seinem gewohnten Umfeld. Damit ist ein Umzug auch dem Beklagten möglich, wenn die emotionalen Belastungen gering gehalten werden können. Die Kläger jedenfalls unternehmen ganz erhebliche Anstrengungen, um dies zu gewährleisten. So sieht es das LG München I.
Bei dieser Sachlage war das LG München I der Auffassung, dass das Erlangungsinteresse der Kläger zur Schaffung ihres Familienwohnsitzes die Belange des Beklagten überwiegen.
Aus diesem Grund entschied das LG München I, dass das Mietverhältnis trotz Vorliegens von Härtegründen nicht fortzusetzen war. Der Beklagte wurde zur Räumung der Wohnung verurteilt.
LG München I, Urteil vom 22.03.2019 – 14 S 5271/17
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