Im Verwaltungsprozess gilt das Prinzip der Zulassungsberufung. Das bedeutet, dass eine Berufung gegen erstinstanzliche Urteile nur dann zulässig ist, wenn diese vom Verwaltungsgericht oder vom Oberverwaltungsgericht zugelassen wurde (§ 124 VwGO).
Die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) enthält keine ausdrückliche Regelung dazu, ob Einzelrichter die Berufung zulassen dürfen.
Dagegen wird vorgebracht, dass eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter nur dann möglich ist, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten und keine grundsätzliche Bedeutung aufweist (§ 6 Absatz 1 Satz 1 VwGO). Eine grundlegende Bedeutung dürfte aber bei einer Berufung meistens zu bejahen sein. Das ist ein handfestes Argument dafür, dass der VwGO-Gesetzgeber die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter eigentlich nicht beabsichtigt hat.
Anstatt die Berufung selbst zuzulassen, kann der Einzelrichter die Sache auf die Kammer zurückübertragen. Das setzt allerdings voraus, dass neue Erkenntnisse im Verfahren dazu führen, dass die „Grundsätzlichkeit“ der Sache anders eingeschätzt wird als ursprünglich. Darin wäre nämlich eine wesentliche Änderung der Prozesslage zu erblicken (§ 6 Absatz 3 VwGO). Als Unterfall der Grundsätzlichkeit gilt das selbstverständlich auch für die Divergenz.
Eine Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter am VG ist trotz der oben ausgeführten Argumentation nicht ausgeschlossen. Denn auch bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 6 Absatz 3 VwGO ist der Einzelrichter keineswegs zur Rückübertragung auf die Kammer verpflichtet. Die Entscheidung steht vielmehr in seinem Ermessen.
Außerdem wird die Auffassung vertreten, dass eine Rückübertragung auf die Kammer ausgeschlossen ist, wenn die Voraussetzungen der Übertragung auf den Einzelrichter erkennbar nicht vorgelegen haben. Folgt man dieser Auffassung, wäre dem Einzelrichter auch das Recht zur Berufungszulassung einzuräumen. Denn anderenfalls könnte dies nur noch das OVG tun, was nicht im Sinne der Verfahrensbeschleunigung wäre.
Für die Zulässigkeit einer Berufungszulassung durch einen Einzelrichter spricht außerdem, dass der Gesetzgeber dem Einzelrichter beim Gerichtsbescheid die Befugnis zur Zulassung der Berufung eingeräumt hat (§ 84 Absatz 2 Nummer 1 VwGO). Überzeugende Gründe dafür, dass das beim Urteil anders sein muss, finden sich nicht. Zwar kann diesem Argument entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber die Berufungszulassung beim Gerichtsbescheid explizit vorgesehen hat, wohingegen bei der Entscheidung durch den Einzelrichter eine solche Regelung fehlt. Ausgeschlossen ist die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter in der VwGO aber nicht (vgl. § 87a VwGO). Und der Vergleich mit dem Gerichtsbescheid zeigt, dass der Gesetzgeber die Zulassungsentscheidung nicht dem förmlichen Kammerurteil vorbehalten will. Vielmehr ist dies auch ohne mündliche Verhandlung zulässig.
Als weiteres Argument für die Zulässigkeit der Berufungszulassung durch den Einzelrichter ist zu berücksichtigen, dass der BGH die Zulassung der Revision durch den Einzelrichter wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit gebilligt hat. Der BGH erblickte darin keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör (Art. 101 Absatz 1 Satz 2 GG). Die Entscheidung ist zwar für den Bereich des Zivilprozesses ergangen, dürfte aber im Hinblick auf das rechtliche Gehör auf die VwGO übertragbar sein. Denn das rechtliche Gehör behandelt eine verfassungsrechtliche Frage und ist kein spezifisch zivilrechtliches Thema.
BGH, Urteil vom 16.07.2003 – VIII ZR 286/02
Es gibt daher sowohl für als auch gegen die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter sprechende Argumente.
Die Rückübertragung auf die Kammer erscheint der praktikabelste Weg. In den meisten Fällen ist dies rechtssicher und entspricht der „Grundsätzlichkeit“. Sofern die Voraussetzungen für eine Rückübertragung nicht vorliegen, dürfte aber auch dem VG-Einzelrichter die Berufungszulassung zuzugestehen sein.
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