Formalien spielen im Verwaltungsrecht eine große Rolle. Wer gegen einen Bescheid vorgehen möchte, muss gut aufpassen, die dafür geltende Frist einzuhalten. Für Widersprüche und Klagen gilt im Verwaltungsrecht grundsätzlich die Monatsfrist, die mit der Zustellung oder Bekanntgabe des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids zu laufen beginnt. Das Versäumen der Monatsfrist führt zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels und damit zur Zurückweisung des Widerspruchs oder der Klage. Die Monatsfrist gilt allerdings nur dann, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß war. War sie das nicht, gilt anstelle der Monatsfrist eine Jahresfrist (§ 58 Absatz 2 VwGO). Ob Rechtsbehelfsbelehrungen “unrichtig” sind, ist regelmäßig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. So auch in dem vom Verwaltungsgericht Hamburg entschiedenen Fall (VG Hamburg, Urt. v. 06.03.2018 – 11 K 6685/16).
Das VG Hamburg hatte darüber zu entscheiden, ob folgende Rechtsbehelfsbelehrung “unrichtig” war (Urt. v. 06.03.2018 – 11 K 6685/16):
„Rechtsbehelfsbelehrung:
Sie können gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe – schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle – Klage beim jeweils genannten Verwaltungsgericht erheben. Bei schriftlicher Klageerhebung wird die Frist nur gewahrt, wenn die Klageschrift vor Ablauf der Rechtsbehelfsbelehrung bei Gericht eingegangen ist.“
Der Kläger hatte die Monatsfrist verpasst. Vor Gericht berief er sich darauf, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei und deshalb die Jahresfrist nach § 58 Absatz 2 VwGO gelte. Denn die Belehrung enthielt den Hinweis, dass die Klage schriftlich oder zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts erhoben werden kann. Die Möglichkeit, die Klage in elektronischer Form zu erheben, fand keine Erwähnung.
In der Rechtsprechung und der juristischen Fachliteratur werden solche Fälle unterschiedlich gelöst.
Es wird vertreten, dass der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig macht (so OVG Koblenz, Urt. v. 08.03.2012 – 1 A 11258/11). Der Hinweis auf die schriftliche Klageerhebung und Möglichkeit der Niederschrift bei der Geschäftsstelle erwecke nämlich den Eindruck, dass weitere Formen der Klageerhebung nicht zulässig sind. Betroffene können daher zu der Auffassung gelangen, dass die elektronische Klageerhebung nicht in Betracht kommt. Das führt zu der Fehlvorstellung, dass diese erleichte Form der Klage nicht zur Verfügung steht. Dadurch könnten Betroffene von der Geltendmachung ihrer Rechte abgehalten werden.
Andere vertreten die Auffassung, dass der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung nicht zur Unrichtigkeit der Belehrung führe (OVG Bremen, Urt. v. 08.08.2012 – 2 A 53/12.A). Begründet wird dies damit, dass die elektronische Klageerhebung keine wirkliche Vereinfachung darstellt. Die Voraussetzungen stünden nicht Jedermann zur Verfügung, sondern nur solchen Personen, die die Zugangsvoraussetzungen erfüllen. Z. B. in Gestalt des beA (besonderes elektronisches Anwaltspostfach). Als Argument wird auch angeführt, dass allgemein anerkannt ist, dass in der Belehrung nicht auf die Möglichkeit der Klageerhebung per Fax hingewiesen werden muss. Außerdem könne davon ausgegangen werden, dass diejenigen, die über die Zugangsvoraussetzungen zur elektronischen Klageerhebung verfügen, Kenntnis davon haben, dass die elektronische Form die Schriftform ersetzt (§§ 81 Absatz 1, 70 Absatz 1 VwGO).
Das Verwaltungsgericht Hamburg (11 K 6685/16) hat sich der zuletzt genannten Auffassung angeschlossen. Das VG meint, dass der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form die Belehrung nicht „unrichtig“ mache im Sinne von § 58 Absatz 2 VwGO – und daher nicht die Jahres-, sondern die Monatsfrist zur Anwendung kommt.
Im Kern stützt das Gericht dies auf den Umstand, dass Formen der Klageerhebung kein notwendiger Inhalt der Belehrung sind. Die elektronische Klageerhebung sei schwieriger als die Klageerhebung in Schriftform oder zur Niederschrift bei der Geschäftsstelle. Notwendig sei dafür nämlich eine qualifizierte elektronische Signatur, ggfls. eine Signaturkarte und ein Lesegerät. Außerdem sei ein zuverlässiges Identifizierungsverfahren zu verwenden. Zum Beispiel beim EGVP, welches eine vorherige Anmeldung erfordere. Die elektronische Klageerhebung stellt nach Auffassung des VG Hamburg keine Vereinfachung dar. Der unterlassene Hinweis in der Belehrung führe daher nicht zu einer Erschwerung der Rechtsverfolgung für Betroffene.
Da der Kläger die Monatsfrist verpasst hatte und die Jahresfrist nach § 58 Absatz 2 VwGO nicht anzuwenden war, weil die Belehrung – nach Auffassung des VG Hamburg – nicht unrichtig war, wurde die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg (VG Hamburg, Urt. v. 06.03.2018 – 11 K 6685/16) ist ein krasses Beispiel für das Auseinanderfallen von Rechtsgefühl und Rechtsanwendung.
Das Gesetz bestimmt, dass im Falle einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung § 58 Absatz 2 VwGO nicht die Monatsfrist, sondern die Jahresfrist anzuwenden ist. Diese eigentlich unmissverständliche Aussage verkehrt das Verwaltungsgericht Hamburg in ihr Gegenteil, indem es vertritt, dass die elektronische Klageerhebung komplizierter als die schriftliche Klageerhebung sei. Der fehlende Hinweis führe daher nicht dazu, dass Betroffene ihre Rechte nicht geltend machen.
Die Entscheidung begegnet erheblichen Bedenken. Die Auffassung, dass die elektronische Klageerhebung komplizierter sei als die schriftliche Klageerhebung oder die Klageerhebung durch die Niederschrift bei der Geschäftsstelle, ist die Meinung des Verwaltungsgerichts. Die subjektive Meinung beruht nicht auf objektiven Gründen. Subjektive Aspekte haben aber bei der Beurteilung von Rechtsbehelfsbelehrungen nichts zu suchen. Solche Belehrungen müssen nach einheitlichen Maßstäben beurteilt werden. Das ist ein Gebot der verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfsklarheit. Sie müssen streng objektiv und nicht subjektiv betrachtet werden.
Hinzu kommt, dass die Auffassung des Gerichts auch sachlich nicht ansatzweise überzeugt. Der Aufwand der schriftlichen Klageerhebung kann sehr wohl höher sein als der einer elektronischen Klageerhebung. Dasselbe gilt für die Klageerhebung durch Niederschrift bei der Geschäftsstelle. In beiden Fällen muss der Kläger nämlich aktiv werden. Er muss, z. B. zur Post bzw. zum Postkasten oder zur Geschäftsstelle des Gerichts gehen. Wenn der Kläger dazu aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist, kann die elektronische Klageerhebung durchaus einfacher sein. Aus welchen Gründen ein Betroffener seine Wohnung nicht verlassen kann, darf für die Beurteilung der Belehrung keine Rolle spielen. Deshalb ist es egal, ob der potenzielle Kläger krank oder nur unwillig ist. Fakt ist, dass nicht ausgeschlossen ist, dass die elektronische Klageerhebung in Betracht kommt. Der fehlende Hinweis kann daher zu einem Irrtum führen, der die Rechtsverfolgung erschwert.
Das Hamburger Gericht hat sich außerdem nicht ausreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die Belehrung die schriftliche Klageerhebung und die Klageerhebung durch Niederschrift bei der Geschäftsstelle nicht als Beispiele aufzählt. Das spielt hier aber eine Rolle, denn es entsteht hierdurch der Eindruck, dass andere Möglichkeiten der Klageerhebung nicht in Betracht kommen.
Der Hinweis auf die Klageerhebung per Fax kann dieses Argument nicht entkräften. Beim Fax liegt nämlich sehr wohl eine schriftliche Klageerhebung vor. Schließlich ist die Übermittlung einer Kopie des Dokuments, das schriftlich vorliegt, Gegenstand der Übertragung. Da die Belehrung die Möglichkeiten der Klageerhebung nicht beispielhaft aufzählt, kann beim Leser selbstverständlich der Eindruck entstehen, dass andere Formen der Klageerhebung nicht in Betracht kommen.
Das vom VG angeführte Argument, dass diejenigen Personen, die zur elektronischen Klageerhebung in der Lage sind, von § 70 Absatz 1 VwGO und § 81 Absatz 1 VwGO ohnehin Kenntnis haben, ist absurd. Den Hamburger Richtern ist offenbar entgangen, dass am EGVP nicht bloß Juristen teilnehmen können. Auch die absenderauthentifizierte De-Mail ermöglicht Menschen ohne Rechtskenntnisse die elektronische Klageerhebung.
Die besseren Gründe sprechen daher dafür, eine Rechtsbehelfsbelehrung, die eine schriftliche Klageerhebung oder eine Klageerhebung durch Niederschrift bei der Geschäftsstelle vorsieht, aber auf die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung nicht hinweist, als „unrichtig“ im Sinne von § 58 Absatz 2 VwGO anzusehen.
Dieser Fall darf nicht anders behandelt werden als der Fall, in dem zwar über die schriftliche Klageerhebung aufgeklärt wird aber die Möglichkeit der Niederschrift bei der Geschäftsstelle unerwähnt bleibt. Das ist ein Gebot der Rechtsklarheit. In diesem Fall ist die Belehrung nämlich unrichtig und die Jahresfrist findet Anwendung (BVerwG, Urt. v. 25.09.2008 – 7 A 4/07).
Bei Belehrungen, in denen die Möglichkeiten der Klageerhebung aufgezählt werden, muss dies zutreffend geschehen. Eine Belehrung ist daher dann nicht „unrichtig“, wenn sie entweder gar keine Möglichkeiten nennt oder die gegebenen Möglichkeiten zutreffend nennt, zu der auch die Klageerhebung in elektronischer Form gehört.
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