Kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer außerordentlich und bietet er dem Arbeitnehmer als soziale Auslauffrist eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist an, so ist die außerordentliche Kündigung als unwirksam anzusehen. Das der außerordentlichen Kündigung zu Grunde liegende Verhalten eines Arbeitnehmers ist dann nicht als so gravierend anzusehen, wenn der Arbeitgeber selbst anbietet, den Arbeitnehmer trotz seines Verhaltens bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. In diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu einer Beendigung im Rahmen einer ordentlichen Kündigungsfrist für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Damit ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam. Ein entsprechendes Urteil fällte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LArbG Berlin-Brandenburg) am 14.06.2018 (15 Sa 214/18).
Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Die Klägerin war bei der Beklagten zunächst in Vollzeit beschäftigt, später mit einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 70%. Im August und im September 2017 hatte die Klägerin an vier Tagen den Arbeitsbeginn um insgesamt 135 Minuten zu früh in die entsprechende Excel-Tabelle eingetragen. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangte, hörte sie die Klägerin zu ihrem Verhalten an. In dem Gesprächsvermerk der Beklagten hieß es unter anderem wörtlich: „Daher würde nur eine außerordentliche Kündigung in Frage kommen. Der Ausstieg könne aber in Interessenabwägung so gestaltet werden, dass der Schaden begrenzt wird. Z.B. könne das Arbeitsverhältnis bis Ende des Jahres bestehen bleiben, damit Frau L. ausreichend Zeit habe, sich eine neue Beschäftigung zu suchen und sie die Jahressonderzahlung erhalte“. Darüber hinaus erfolgte die Anhörung des Personalrats zum beabsichtigten Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Der Klägerin wurde sodann von der Beklagten außerordentlich gekündigt.
Gegen die außerordentliche Kündigung erhob die Klägerin vor dem zuständigen Arbeitsgericht Klage und verlor. Das Arbeitsgericht ging davon aus, dass die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB gerechtfertigt war. Insbesondere sei von einer vorsätzlichen falschen Dokumentation der Arbeitszeit an vier Tagen auszugehen, jedenfalls liege ein entsprechender dringender Verdacht vor, so das Arbeitsgericht in erster Instanz. Das Arbeitsgericht ging darüber hinaus davon aus, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten sei. Die Interessenabwägung nahm das Arbeitsgericht daher hier zu Gunsten der Interessen der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor.
Die Klägerin legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts beim LArbG Berlin-Brandenburg Berufung ein. Das LArbG Berlin-Brandenburg gab der Klägerin Recht und entschied, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam gewesen ist.
Grundsätzlich ging auch das LArbG Berlin-Brandenburg davon aus, dass die Klägerin an vier Tagen bewusst den Arbeitsbeginn zu Lasten ihrer Arbeitgeberin verfrüht angegeben hat. Insbesondere sei nicht von einem Versehen auszugehen, wie es die Klägerin behauptet hat, so das LArbG Berlin-Brandenburg.
In diesem Rechtsstreit war jedoch bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls das Verhalten der Beklagten entscheidungserheblich. Aus dem Verhalten der Beklagten musste nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg geschlossen werden, dass ihr eine Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar war. Die Beklagte selbst bot der Klägerin in dem Anhörungsgespräch eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist an, was die Klägerin ablehnte. Das LArbG Berlin-Brandenburg weist in seiner Entscheidung auf das Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 06.02.1997 hin (BAG 06.02.1997 – 2 AZR 51/96). Hiernach ist bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls im Rahmen der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB auch das eigene Verhalten des Arbeitgebers zu bewerten. Nimmt insbesondere ein Arbeitgeber „einen bestimmten Kündigungssachverhalt nicht zum Anlass, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen, sondern gewährt er dem Arbeitnehmer eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende soziale Auslauffrist in der erklärten Absicht, den Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist auch tatsächlich zu beschäftigen, so werde das eigene Verhalten des Arbeitgebers regelmäßig den Schluss zulassen, dass ihm auch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar war“, so das LArbG Berlin-Brandenburg unter Hinweis auf das Urteil des BAG. In diesem Fall liege daher kein wichtiger Grund zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. So verhält es sich nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg hier. Die Beklagte bot der Klägerin die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist an und schlug verschiedene Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung an verschiedenen Arbeitsplätzen sowie alternativ eine Freistellung von der Arbeit vor. Das LArbG Berlin-Brandenburg schließt hieraus in seinem Urteil, dass das Verhalten der Klägerin für die Beklagte nicht derart gravierend war, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu einer Beendigung im Rahmen einer ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar war. Allein aus diesem Grund war die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam, so das LArbG Berlin-Brandenburg.
Eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung kam nicht in Betracht, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Die Beklagte hatte den Personalrat lediglich zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung angehört, nicht jedoch zu einer beabsichtigten (hilfsweise) ordentlichen Kündigung.
Die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB war daher nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg unwirksam.
LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.06.2018 – 15 Sa 214/18
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