Ein Hund ist als gefährlicher Hund i.S.d. § 2 PolVOgH (Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde) einzustufen, wenn er, ohne angegriffen oder sonst provoziert worden zu sein, bereits einen Menschen oder ein Tier gebissen und damit seine Gefährlichkeit unter Beweis gestellt hat. Beantragt der Halter eines solchen gefährlichen Hundes in einem gerichtlichen Verfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis, dass der Hund nicht bissig ist, muss er konkrete Tatsachen benennen, aus denen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung des Hundes hervorgeht. Dies entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH B-W) in seinem Beschluss vom 24.05.2018 (1 S 432/18).
Der Fall:
Der Kläger ist Halter eines Boxermischlings. Dieser Hund wurde als gefährlicher Hund im Sinne der so genannten Kampfhundeverordnung des Landes Baden-Württemberg (§ 2 PolVOgH) eingestuft. Gleichzeitig ergingen gegen den Kläger Anordnungen zur Hundehaltung, insbesondere ein Leinen- und Maulkorbzwang. Vorausgegangen war ein Vorfall, aufgrund dessen der Hund des Klägers als „bissig“ im Sinne des § 2 PolVOgH eingestuft worden war. Bei diesem Vorfall sprang der Hund des Klägers über den Gartenzaun und biss den Hund der Nachbarin jedenfalls einmal, ohne dass dieser sich zuvor aggressiv gegenüber dem Hund des Klägers gezeigt hatte. Der Nachbarshund verstarb später, wobei streitig ist, ob das Versterben die unmittelbare Folge des Bisses oder die Folge einer mangelhaften Wundversorgung war.
Der Kläger erhob Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht. Er wendete sich gegen die Einstufung seines Hundes als „bissiger Hund“ sowie gegen die Anordnungen zur Hundehaltung, insbesondere zum Leinen- und Maulkorbzwang. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Es begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass die Beklagte den Hund des Klägers zutreffend aufgrund des Vorfalls mit dem Nachbarshund als „bissig“ im Sinne des § 2 PolVOgH eingestuft hatte. In dem Verfahren hat das Verwaltungsgericht zudem den Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt. Der Kläger wollte zum einen beweisen, dass das Versterben des Nachbarhundes auf die anschließende mangelhafte Wundversorgung zurückzuführen ist. Zum anderen wollte der Kläger das spätere Wohlverhalten seines Hundes in einem behaupteten Hundetraining und die Behandlung des Hundes mit Medikamenten gegen eine Schilddrüsenfehlfunktion nachweisen. Das Verwaltungsgericht lehnte die Einholung eines Sachverständigengutachtens ab. Es wies darauf hin, dass die vom Kläger vorgetragenen Gründe für ein Sachverständigengutachten nicht entscheidungserheblich sind.
Der Kläger begehrte die Zulassung der Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts. Über den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hatte der VGH (B-W) zu entscheiden.
Die Entscheidung:
Der VGH B-W wies den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung zurück. Das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichtes war nicht zu beanstanden, da sich aus den vom Kläger vorgetragenen Gründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben, so der VGH B-W.
Zunächst ist die Ablehnung des Sachverständigengutachtens durch das Verwaltungsgericht nach Auffassung des VGH B-W rechtlich nicht zu beanstanden. So hatte das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass es aufgrund des im Kern unstreitigen Beißvorfalls keiner Einholung eines solchen Gutachtens bedurfte, „weil sich die Frage, ob von einem Hund Gefahren ausgingen, grundsätzlich nicht stelle, wenn er bereits Menschen oder ein Tier gebissen hat“. Diese Begründung und die darauf gestützte Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nach Auffassung des VGH B-W rechtlich nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht verwies zu Recht auf den Beschluss des Senats des VGH-BW vom 20.10.2016 (1 S 1662/16) hin, wonach sich die „Frage, ob von einem Hund tatsächlich Gefahren ausgehen, (…) grundsätzlich nicht (stellt) wenn der Hund (…) bereits einen Menschen oder ein Tier gebissen und damit seine Gefährlichkeit unter Beweis gestellt hat“. Nach Auffassung des VGH B-W hat das Verwaltungsgericht diesen Rechtssatz zu Recht zur Prüfung des Tatbestandsmerkmals „bissig“ gemäß § 2 Satz 2 Nr. 1 PolVOgH herangezogen. Es handelte sich daher nicht um eine nur beschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung der Beklagten dahingehend, ob der Hund des Klägers als „bissig“ einzustufen war, so der VGH B-W. Der Hund des Klägers hatte sich aufgrund des Vorfalls mit dem Nachbarhund bereits als bissig gezeigt und dabei eine erhebliche Verletzung zugeführt. Nach Auffassung des VGH B-W hätte der Kläger konkrete Anknüpfungstatsachen benennen müssen, aus denen sich „wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung des Hundes ergibt. Diese wurden nicht vorgetragen, so der VGH B-W. Das bloße Aufzeigen einer Schilddrüsenfehlfunktion und die Behandlung mit einem Medikament genügen hierfür sind keine aussagekräftigen Anhaltspunkte für eine Wesensänderung, dies hat das Verwaltungsgericht nach Auffassung des VGH B-W zutreffend festgestellt. Substantiierte Äußerungen des Klägers zu einer Wesensänderung seines Hundes wären darüber hinaus jedenfalls angezeigt gewesen, da sich zur Zeit des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ein weiterer Beißvorfall mit dem Hund des Klägers ereignete.
Auch im Hinblick auf die Anordnung des Maulkorbzwangs bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, so der VGH B-W. Der Senat des VGH B-W hat in seiner Entscheidung vom 29.12.2010 (1 S 2322/10 – VBlBW 2011, 185) ausgeführt, dass „der auch bei gebundenen Entscheidungen zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebieten (dürfte), § 4 Abs. 4 PolVOgH einschränkend dahingehend auszulegen, dass der das artgerechte Leben eines Hundes stark beeinträchtigende Maulkorbzwang nur insoweit gerechtfertigt ist, als auch die konkrete Gefahr eines Übergriffs durch den Hund besteht, der mit weniger einschneidenden Maßnahmen nicht begegnet werden kann“. Diese Erwägung führt genau zu der von dem Verwaltungsgericht getroffenen Entscheidung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des verhängten Maulkorbzwangs, so der VGH B-W. Es ist nach Auffassung des VGH B-W nicht ersichtlich, dass die vom Kläger aufgezeigte Alternative des Leinenzwangs ohne Maulkorb geeignet wäre, die Gefahren, die vom Hund des Klägers ausgehen, effektiv abzuwehren. So können sich andere Hunde dem Hund des Klägers an der Leine dennoch nähern. Es ist in diesem Fall aufgrund der bisher gezeigten Aggressivität und der Folgen des Beißvorfalls nicht gewährleistet, dass es nicht zu weiteren Verletzungen, vom Hund des Klägers ausgehend, kommen würde, so der VGH B-W. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur Anordnung des Maulkorbzwangs ist daher nicht zu beanstanden, so der VGH B-W.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens und auch an der klagabweisenden Entscheidung selbst bestehen nach Auffassung des VGH B-W nicht.
Der VGH B-W hat daher in seinem Beschluss vom 24.05.2018 den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen.
VGH B-W, Beschl. vom 24.05.2018 – 1 S 432/18
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