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Arztbesuch während der Arbeitszeit – Anspruch auf Vergütung bei tarifvertraglicher Regelung (LAG Niedersachsen, Urt. v. 08.02.2018 – 7 Sa 256/17)

Der Arbeitnehmer kann im Falle einer entsprechenden tarifvertraglichen Regelung für die Zeit seines Arztbesuches während der Arbeitszeit Vergütung als Entgeltfortzahlung verlangen. In dem vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG Niedersachsen) zu entschiedenen Fall kam der Manteltarifvertrag (MTV) Groß- und Außenhandel Niedersachsen zur Anwendung, wonach eine Entgeltfortzahlung in Fällen unverschuldeter Arbeitsversäumnis, hierzu zählt unter Umständen der Arztbesuch während der Arbeitszeit, zu zahlen ist.

Der Fall:

Die Parteien stritten darüber, ob dem Kläger für die Dauer seines Arztbesuches ein Anspruch auf bezahlte Freistellung zusteht. Der Kläger ist bei der Beklagten als Klima- und Lüftungsmonteur beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Regelungen des MTV Groß- und Außenhandel Niedersachen Anwendung. § 13 des MTV Groß- und Außenhandel Niedersachsen regelt die „Freistellung von der Arbeit“ ohne Anrechnung auf den Urlaub und unter Fortzahlung des Entgelts zum Beispiel für die Fälle der eigenen Eheschließung, der Niederkunft der Frau, Todesfälle naher Angehöriger und auch Fälle der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten. § 14 des MTV Groß- und Außenhandel regelt die „Arbeitsverhinderung“ insbesondere aufgrund von Krankheit. In Ziffer 3 heißt es wörtlich „In allen anderen Fällen unverschuldeter Arbeitsversäumnis wird das Entgelt nur für die unumgänglich notwendige Abwesenheit, höchstens jedoch bis zur Dauer von 4 Stunden, fortgezahlt“. Der Kläger nahm an einem Arbeitstag im Jahr 2016 einen Arzttermin bei einem Orthopäden in der Zeit von 10.15 Uhr bis 11.45 Uhr war. Für die Stunden davor und die Stunden danach stellte der Kläger einen Antrag auf Freizeitausgleich. Er arbeitete an diesem Tag daher gar nicht. Die Beklagte zahlte für diesen Tag die volle Arbeitsvergütung, belastete jedoch das Arbeitszeitkonto nicht nur für die Zeit vor und die Zeit nach dem Arzttermin, sondern auch für Dauer des Arzttermins, mithin mit 8,25 Stunden.

Der Kläger verlangt mit der vor dem Arbeitsgericht Osnabrück erhobenen Klage die Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto von 1,5 Stunden für die Dauer seines Arztbesuches. Das Amtsgericht Osnabrück wies die Klage ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung beim LAG Niedersachsen ein, mit Erfolg.

Die Entscheidung:

Das LAG Niedersachsen verurteilte die Beklagte zur Gutschrift von 1,5 Stunden für die Dauer des Arztbesuches auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers, dies ohne Rückforderung der bereits für diese Zeit von der Beklagten gezahlten Vergütung. Nach Auffassung des LAG Niedersachsen steht dem Kläger ein Anspruch auf Vergütung für die Dauer seines Arztbesuches nach § 14 MTV Groß- und Außenhandel Niedersachsen zu, da er für die Dauer von 1,5 Stunden unverschuldet an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert war. Gemäß § 14 Absatz 3 MTV besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei einer unverschuldeten Arbeitsversäumnis für die unumgänglich notwendige Abwesenheit und höchstens für die Dauer von 4 Stunden. Bei dem Arztbesuch des Klägers handelte es sich um eine solche unumgängliche notwendige Abwesenheit, so das LAG Niedersachsen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kann es sich bei einem Arztbesuch um ein unverschuldetes Arbeitsversäumnis handeln, wenn der Arbeitnehmer von dem Arzt zur Untersuchung oder Behandlung bestellt wird und der Arzt auf die terminlichen Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann. Der Arbeitnehmer muss jedoch versuchen, die Arbeitsversäumnis möglichst zu vermeiden. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer Sprechzeiten des Arztes außerhalb der Arbeitszeit in Anspruch nehmen muss, falls keine medizinischen Gründe dagegen sprechen (BAG, Urteil vom 19.02.1984, 5 AZR 92/82). In dem vom LAG Niedersachsen zu entscheidenden Fall war der Arztbesuch des Klägers unumgänglich notwendig im Sinne des § 14 Ziffer 3 MTV. Bei dem Arzttermin des Klägers handelte es sich um eine Nachuntersuchung nach einer Knieoperation. Der Orthopäde des Klägers bestätigte, dass der letzte Sprechstundentermin täglich außer freitags um 15:00 Uhr ist, am Freitag sogar schon um 12:00 Uhr. Diese Termine liegen jeweils in der täglichen Arbeitszeit des Klägers, was zwischen den Parteien unstreitig war. Die Voraussetzungen des § 14 Ziffer 3 MTV liegen damit vor. Auch der Wortlaut des § 13 Ziffer 3 in Verbindung mit § 616 BGB spricht nicht gegen die Vergütung der Abwesenheit während eines Arztbesuches, so das LAG Niedersachsen. Hier geht aus den Regelungsinhalten der §§ 13 und 14 MTV hervor, dass die Tarifvertragsparteien bei Aufstellung des MTV einerseits zwischen einem Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für ganze Tage (§13 MTV) und andererseits einer unverschuldeten Arbeitsverhinderung von weniger als einem Tag (§14 MTV) differenziert haben. Daraus folgt, dass § 13 MTV in Verbindung mit § 616 BGB nur die Fälle der ganztägigen Abwesenheit erfassen sollte, wohingegen § 14 MTV die Fälle der Abwesenheit von weniger als einem Tag regeln soll, so wie in dem hier vom LAG Niedersachsen entschiedenen Fall der Abwesenheit des Klägers von 1,5 Stunden. Da die Voraussetzungen des § 14 Ziffer 3 MTV des Groß- und Außenhandels Niedersachsen vorlagen, stand dem Kläger ein Vergütungsanspruch für die Dauer seines Arztbesuches von 1,5 Stunden zu. Die Berufung des Klägers hatte daher Erfolg. Die Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger die 1,5 Stunden Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto wieder gutzuschreiben.

LAG Niedersachsen, Urteil vom 08.02.2018 – 7 Sa 256/17

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