Wer als Arbeitnehmer auf dem unmittelbaren Weg zur Arbeit ist, ist gesetzlich unfallversichert. Geschieht dem Arbeitnehmer auf dem unmittelbaren Weg zur Arbeit ein Unfall, liegt ein so genannter Wegeunfall vor, der als Arbeitsunfall von der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst ist. Wird der Weg zur Arbeit jedoch unterbrochen, wenn auch nur kurz, etwa zur Prüfung der Straßenverhältnisse, liegt kein gesetzlich versicherter Wegeunfall vor. So entschied das Bundessozialgericht (BSG) mit seinem Urteil vom 23.01.2018.
In dem Rechtsstreit stritten die Parteien um die Anerkennung eines in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfalls. Der Kläger begehrte die Anerkennung seines Unfalls als Arbeitsunfalls, wogegen sich die Beklagte wehrte. Das BSG gab der Beklagten in dritter Instanz Recht und lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab.
Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Am Vortag des Unfalls gab der Deutsche Wetterdienst für den Landkreis des Klägers eine Glättewarnung für den Folgetag heraus. Am Morgen des Unfalltages begab sich der Kläger vom Wohnhaus zu seinem auf dem Grundstück abgestellten Pkw, um mit dem PKW zur Arbeit zu fahren. Er fuhr jedoch nicht sofort los, sondern legte zunächst seine Tasche ins Auto. Anschließend begab er sich zu Fuß zur nahe gelegenen öffentlichen Straße und ging wenige Meter auf diese Straße, um die Fahrbahn auf Glätte hin zu überprüfen. Auf dem Rückweg von der öffentlichen Straße zu seinem Auto knickte der Kläger in der Regenrinne am Bordstein der Straße mit dem Fuß um, fiel auf seinen rechten Arm und erlitt dabei Unterarmfrakturen. Die Beklagte lehnte die Anerkennung dieses Unfalls als Arbeitsunfall ab. Als Begründung führte sie aus, dass die Prüfung der Straßenverhältnisse durch den Kläger lediglich eine dem Privatbereich zuzuordnende Vorbereitungshandlung sei, die nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei.
Der Kläger erhob darauf hin Klage vor dem Sozialgericht, welches dem Kläger in erster Instanz Recht gab. Das Sozialgericht ging davon aus, dass die Prüfung der Straßenverhältnisse in diesem Fall eine erforderliche, unvorhersehbare und deshalb ausnahmsweise versicherte Vorbereitungshandlung gewesen sei, weil die Prüfung der Vorbereitung der konkreten Fahrt gedient habe. Auch sei die Vorbereitungshandlung erforderlich gewesen, um die Gefahren aufgrund der angekündigten Glätte auf dem Weg zur Arbeit einschätzen zu können. Auf die von der Beklagten hiergegen eingelegte Berufung hob das Landessozialgericht das Urteil auf und wies die Klage des Klägers ab. Das Landessozialgericht begründete dies damit, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls nicht auf dem unmittelbaren Weg zum Arbeitsort befunden hat. Die Prüfung der Straßenverhältnisse sei als Vorbereitungsmaßnahme dem nicht versicherten persönlichen Lebensbereich des Klägers zuzuordnen. Insbesondere sind die vom Deutschen Wetterdienst angekündigten Witterungsverhältnisse kein unvorhergesehenes Ereignis gewesen, zum einen aufgrund der Jahreszeit und zum anderen aufgrund der ausdrücklichen Wetterwarnung. Hinzu käme, so das Landessozialgericht, dass die Prüfung der Straße unmittelbar vor dem Grundstück des Klägers keinen Rückschluss auf den Zustand des gesamten Weges zum Arbeitsort des Klägers zulasse. Nach alledem war der Unfall des Klägers kein vom Versicherungsschutz umfasster Arbeitsunfall. Der Kläger legte hiergegen Revision ein, ohne Erfolg. Das BSG bestätigte das Urteil des Landessozialgerichtes und lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung wies das BSG noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass als Vorbereitungshandlung der eigentlichen versicherten Tätigkeit nur das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit versichert ist. Der Kläger hatte zunächst diesen unmittelbaren Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit angetreten, als er die Haustür seines Wohnhauses durchschritt. Nachdem der Kläger aber seine Arbeitstasche in den PKW legte, unterbrach er den unmittelbaren Weg zum Ort der Tätigkeit, indem er zur öffentlichen Straße ging, um diese auf Glätte hin zu überprüfen. Diese Vorbereitungshandlung stand nicht mehr in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, so das BSG. Insbesondere stellte die hier streitgegenständliche Vorbereitungshandlung auch keine zwingende straßenverkehrsrechtliche Pflicht dar. Eine Pflicht zur Prüfung der Straßenverhältnisse durch ein Aussteigen aus dem Fahrzeug o.ä. könne man allenfalls beim Transport von Gefahrgütern annehmen, so die straßenverkehrsrechtliche Rechtssprechung im Hinblick auf § 2 Abs. 3a Satz 5 StVO. Es besteht eine Rechtspflicht lediglich dahingehend, die Fahrweise den Straßenverhältnissen anzupassen. Das BSG führt in seinem Urteil aus, dass das Verhalten des Klägers im Hinblick auf das Prüfen der Straßenverhältnisse vernünftig gewesen sein mag, rechtlich geboten war es jedoch nicht. Käme es bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Vorbereitungshandlung bzw. der Unterbrechung des Weges auf die subjektive Überzeugung des Versicherten an, würde jede nachvollziehbare Übervorsichtigkeit Versicherungsschutz in der Wegeunfallversicherung begründen. Darüber hinaus war die angekündigte Straßenglätte für den Kläger nicht unvorhersehbar, wie das Landessozialgericht zutreffend ausführte. Ein gesetzlich versicherter Wegeunfall liegt nach dem Urteil des BSG daher nicht vor.
Hintergrund: Nach ständiger Rechtssprechung des BSGs besteht ab dem Durchschreiten der Außentür eines Hauses auf dem unmittelbaren Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit für einen Arbeitnehmer Versicherungsschutz. Wird dieser unmittelbare Weg jedoch durch den Unternehmer unterbrochen, etwa zum „Brötchen holen“ oder sonstiges, entfällt der Versicherungsschutz. Erst wenn sich der Arbeitnehmer wieder auf dem unmittelbaren Weg zum Ort der Tätigkeit befindet und die private Verrichtung abgeschlossen ist, besteht Versicherungsschutz. Das BSG hat jedoch in ständiger Rechtssprechung auch entschieden, dass das Auftreten und Beseitigen eines unvorhergesehenen Hindernisses auf dem Weg zur Arbeit versichert sein kann, etwa das Beseitigen eines umgestürzten Baumes.
BSG, Urteil vom 23.01.2018 – B 2 U 3/16
LSG Mainz – L 3 U 112/14
SG Koblenz – S 15 U 170/13
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