Categories: Arbeitsrecht

Überwachung eines Arbeitnehmers durch einen Detektiv bei Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung zulässig (BAG, Urt. v. 29.06.2017 – 2 AZR 597/16)

Eine vom Arbeitgeber veranlasste verdeckte Überwachungsmaßnahme zur Aufdeckung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers kann nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein. So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil am 29.06.2017 (2 AZR 597/16). Damit stellte das BAG klar, dass die vom Arbeitgeber veranlasste Überwachung eines Arbeitnehmers durch einen Detektiv nicht nur bei dem konkreten Verdacht einer Straftat gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG, sondern auch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG bei einem auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zulässig sein kann.
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie über die Erstattung von Detektivkosten und einen Auskunftsanspruchs. Der Kläger war seit mehr als 30 Jahren bei der Beklagten als Mitarbeiter im Stanzformenbau beschäftigt. Im Jahr 2014 war der Kläger mehrfach arbeitsunfähig krankgeschrieben, seit Anfang 2015 lag eine durchgehend attestierte Arbeitsunfähigkeit vor. Die Beklagte leistete an den Kläger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Nach Ablauf von sechs Wochen wurde die Entgeltfortzahlung eingestellt und der Beklagte erhielt Krankengeld. In der Folgezeit erhielt die Beklagte Kenntnis von einer E-Mail der M-GmbH, einer im Jahr 2013 gegründeten Firma der Söhne des Klägers. Die M-GmbH bot, wie auch die Firma der Beklagten, Stanzformen zum Verkauf an. In dieser E-Mail hieß es u.a., der Kläger montiere seit 38 Jahren, es sei unglaublich, was er so alles hinbekomme. Die Beklagte beauftragte nach Kenntnis von dieser E-Mail ein Detektivbüro mit der Überwachung des Klägers. Die Beklagte trug in dem Rechtsstreit vor, der Detektiv habe den Kläger im Juni 2015 bei der M-GmbH Konkurrenztätigkeiten erbringen sehen. Sie stellte den Kläger zur Rede und äußerte den Verdacht des Vortäuschens einer Erkrankung und auch den Verdacht einer wettbewerbswidrigen Konkurrenztätigkeit des Klägers bei der M-GmbH. Der Kläger hingegen äußerte sich hierzu gegenüber der Beklagten nicht. Die Beklagte sprach sodann gegenüber dem Kläger die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Bereits im Jahr 2013 hatte die Beklagte, nachdem sie von der Gründung der M-GmbH Kenntnis erlangt hatte, den Kläger darauf hingewiesen, dass er bei der M-GmbH nicht konkurrierend tätig werden dürfe. Dies sei dem Kläger damals auch schriftlich mitgeteilt worden. Bereits im Jahr 2014 hatte die Beklagte anlässlich einer attestierten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers ein Detektivbüro mit der Überwachung des Klägers beauftragt. Das Detektivbüro habe bereits im Jahr 2014 Anhaltspunkte für eine Konkurrenztätigkeit des Klägers bei der M-GmbH ermittelt.
Der Kläger klagte gegen die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab und verurteilte den Kläger aufgrund der Widerklage der Beklagten zum Ersatz der im Jahr 2015 entstandenen Detektivkosten sowie zur Auskunft über die bei der M-GmbH erbrachten Konkurrenztätigkeiten.
Auf die Berufung des Klägers gab das Landesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage statt und wies die Widerklage der Beklagten auf Erstattung der Detektivkosten und Erteilung von Auskunft ab.
Die Beklagte legte hiergegen Revision beim BAG ein.
Das BAG hob in seinem Urteil vom 29.06.2017 (2 AZR 597/16) das Urteil des Landesarbeitsgericht auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Das Landesarbeitsgericht hat nach Auffassung des BAG das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts beruhte auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung des § 32 Abs. 1 BDSG. Aus diesem Grund war das Berufungsurteil des Landesarbeitsgericht aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Frage, ob die Kündigungen wirksam sind und ob die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Detektivkosten sowie auf Auskunft hat, ist vom Landesarbeitsgericht aufgrund der Zurückverweisung zu klären.

Das BAG stellte in seinem Urteil vom 29.06.2017 (2 AZR 597/16) fest, dass die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in Bezug auf die Verwertbarkeit der Beobachtungen des Detektivbüros fehlerhaft war. Das Landesarbeitsgericht hatte angenommen, dass den von der Beklagten behaupteten Erkenntnissen aus den Beobachtungen des Detektivs hinsichtlich einer Konkurrenztätigkeit des Klägers nicht nachgegangen werden dürfe. Die Überwachung des Klägers durch einen Detektiv und die daraus resultierenden Ermittlungsergebnisse seien weder nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG noch nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig gewesen. Da die Ermittlungsergebnisse zu einer unerlaubten Konkurrenztätigkeit des Klägers nicht verwertbar gewesen seien, konnte ein wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB von der Beklagten nicht nachgewiesen werden, so das Landesarbeitsgericht. Insbesondere führte das Landesarbeitsgericht aus, eine anlassbezogene Datenerhebung durch den Arbeitgeber, etwa mittels Überwachung durch einen Detektiv, könne ausschließlich nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig sein, demzufolge nur zur Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat. Dem widersprach das BAG in seinem Urteil vom 29.06.2017. Nach der Entscheidung des BAG ist nicht nur die Datenerhebung zur Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig. Vielmehr kann sich die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme (Datenerhebung durch Überwachung durch einen Detektiv) auch aus § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG und darüber hinaus auch „zur Wahrung berechtigter Interessen“ iSd. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG ergeben. § 28 BDSG wird insoweit nicht von § 32 BDSG verdrängt. Eine „Sperrwirkung“ des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gegenüber der Erlaubnisnorm in § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG gibt es nach Ansicht des BAG nicht. Das bedeutet, die Regelung über die Datenerhebung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bei konkretem Verdacht einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat ist nicht abschließend. Eine Datenerhebung kann auch bei einem „nur“ konkreten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein. In diesem Fall stellte das BAG klar, dass die von der Beklagten veranlasste Überwachung des Klägers durch einen Detektiv nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein kann. Ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, konnte das BAG nicht beurteilen, ausgeschlossen ist dies jedoch nach den bisherigen Feststellungen nicht. Das BAG weist auch darauf hin, dass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich aus den Erkenntnissen des Detektivbüros hinreichend konkrete Anhaltspunkte einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Klägers ergeben.
Aufgrund der fehlerhaften Anwendung des § 32 BDSG durch das Landesarbeitsgericht war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts steht noch aus.
Die Feststellung des BAG in Bezug auf die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 32 BDSG wird auch nach in Inkrafttreten des BDSG-neu zusammen mit der DSGVO am 25.05.2018 von Bedeutung sein. Der bisherige § 32 BDSG wird am 25.05.2018 vom neuen § 26 BDSG-neu ersetzt, der jedoch im Hinblick auf die Zulässigkeit der Verarbeitung von Daten im Beschäftigungsverhältnis im Wesentlichen dem bisherigen § 32 BDSG entspricht. Der ab dem 25.05.2018 geltende § 26 BDSG-neu Absatz 1 regelt die Zulässigkeit der Verarbeitung von Daten im Beschäftigungsverhältnis. Der bisherige § 32 BDSG Absatz 1 regelt ebenfalls die Zulässigkeit der Verarbeitung von Daten im Beschäftigungsverhältnis, bezieht sich jedoch wörtlich neben der Verarbeitung auf die Datenerhebung und die Datennutzung. Der neue § 26 BDSG-neu verwendet die Begrifflichkeiten Datenerhebung und Datennutzung nicht mehr, sondern erfasst lediglich die Datenverarbeitung. Das BDSG-neu ist im Lichte der DSGVO auszulegen, welche ebenfalls zum 25.05.2018 in Kraft tritt. Der Begriff der „Datenverarbeitung“ umfasst gemäß Art 4 Ziffer 2 DSGVO „… das Erheben, das Erfassen, die Organisation …, die Verwendung …“ von Daten, somit – wie der bisherige § 32 BDSG auch – die Datenerhebung und die Datennutzung. In Bezug auf die Zulässigkeit der Datenerhebung und Datenverarbeitung im Beschäftigungsverhältnis wird sich demzufolge ab dem 25.05.2018 mit dem Inkrafttreten der DSGVO und des BDSG-neu nicht viel ändern.
Die rechtlichen Ausführungen des BAG zur Anwendung der Regelungen in § 32 BDSG Abs. 1 sind auch nach Inkrafttreten des neuen BDSG, insbesondere des § 26 BDSG-neu, sowie der DSGVO von Bedeutung.

BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 597/16

 

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