OLG Dresden, Beschluss vom 10.02.2020 – 4 U 1354/19

Aktenzeichen: 4 U 1354/19 (LG Leipzig – 02 O 3102/16

Beschluss

1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 32.577,20 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden nach einem Verkehrsunfall, der sich am 06.05.2015 im Bereich M ereignete. Die Klägerin, die mit ihrem Motorrad die S in südöstlicher Richtung befuhr, beabsichtigte, an der Kreuzung S/B nach links in Richtung M auf die BXX abzubiegen. Vor der Einmündung steht in der S das Zeichen 206 („Stopp-Schild“). Der Beklagte zu 1 befuhr mit seinem bei der Beklagten zu 2 versicherten P aus M kommend die BXX in Richtung L. Im Kreuzungsbereich S/B kam es zu Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen, wobei die Klägerin verletzt wurde und Sachschäden entstanden. Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Akte der Staatsanwaltschaft Leipzig, Az XXX, beigezogen und der Klage nach Beweisaufnahme unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 1/3 zu Lasten des Beklagten hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten Schadenspositionen und unter Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von 5.000,- EUR teilweise stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer beschränkten Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageanträge unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 2/3 zu Lasten des Beklagten weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus, das Landgericht sei auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage und aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung zu einer unzutreffenden Haftungsverteilung gelangt. Ferner habe es unter Verstoß gegen das zu gewährende rechtliche Gehör davon abgesehen, den angebotenen Sachverständigenbeweis zu erheben.

Sie beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin über den ausgeurteilten Betrag in Höhe von 933,61 hinaus weitere 7.576,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.08.2016 zu zahlen,

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber weitere 8.334,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.08.2016 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 2/3 ihrer sämtlichen Schäden, welche ihr in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 06.06.2012, Einmündung S/B im Gemeindegebiet M erwachsen werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,

4. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner die Klägerin von den vorgerichtlichen Kosten ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe weiterer 292,47 EUR freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und das beigezogene Strafverfahren ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zur Begründung wird auf die Beschlüsse des Senats vom 30.09. und 30.10.2019 Bezug genommen. Auch die weiteren Einwendungen der Klägerin in den Schriftsätzen vom 23.10., 12.11., 14.11. und 09.12.2019 geben zu einer Abänderung der Rechtsauffassung des Senats keinen Anlass.

1. Keiner der Parteien ist der Nachweis gelungen, dass der Unfall ein „unabwendbares Ereignis” i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG für sie darstellt. Da die Klägerin und der Beklagte zu 1 als Halter und Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge somit grundsätzlich gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG haften und insoweit weder § 7 Abs. 2 StVG noch § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG eingreifen, hängt gemäß § 17 Abs. 1 StVG im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

2. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der somit erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urt. v. 27.6.2000 – VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; OLG Saarbrücken, Urteil vom 12.10.2010 – 4 U 110/10, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 – 1 U 117/17 –, Rn. 5, juris). Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge, müssen sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliegt im übrigen demjenigen, der sich auf einen einzustellenden Gesichtspunkt beruft, d. h. hier der jeweils anderen Partei (vgl. BGH NZV 1996, 231; Hentschel/König/Dauer-König, StVR, 44. Aufl. 2017, § 17 StVG, Rn. 31; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 – 1 U 117/17 –, Rn. 5, juris).

a) Nach diesen Maßstäben ist somit im Rahmen der Abwägung zu Lasten der Klägerin ein Vorfahrtsverstoß gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVO zu berücksichtigen. Unstreitig ist die S, aus der die Klägerin kam, gegenüber der B, auf der sich der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug näherte, aufgrund des Zeichens 206 („Stopp-Schild”) untergeordnet. Somit streitet gegen die Klägerin der Beweis des ersten Anscheins einer unfallursächlichen Missachtung des Vorfahrtsrechts des Beklagten zu 1 für einen schuldhaften Verkehrsverstoß.

Ein Beweis des ersten Anscheins ist immer dann anzunehmen, wenn sich in einem (Unfall-)Geschehen ein hinreichend typisierter Geschehensablauf realisiert hat, der einen Rückschluss auf ein unfallursächliches Fehlverhalten einer Partei regelmäßig zulässt. So liegt der Fall hier. Der Unfall hat sich im Bereich einer Kreuzung ereignet, bei der die Klägerin durch Beschilderung mit dem Zeichen 206 wartepflichtig war. In einem solchen Fall eines Unfalls im Bereich einer Kreuzung mit Wartepflicht eines Unfallbeteiligten kann regelmäßig angenommen werden, dass unfallursächlich eine Missachtung der Wartepflicht war (st. Rspr. vgl. BGH NJW 1998, 2222 m.w.N.).

b) Der somit gegebene Vorfahrtsverstoß der Klägerin entfällt hier auch hier nicht deswegen, weil der Beklagte zu 1 – wovon nach den Feststellungen des Landgerichts auszugehen ist – bei der Annäherung an den Kreuzungsbereich den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat. Denn den Beweis, dass sie aufgrund dieses Fahrverhaltens des Beklagten davon ausgehen durfte, dieser werde tatsächlich auch rechts abbiegen, hat die Klägerin nicht geführt.

Wie bereits in den Beschlüssen des Senats vom 30.09. und 30.10.2019 ausgeführt kann der Wartepflichtige – hier die Klägerin – nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtsberechtigten vertrauen, wenn über ein bloßes Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 20.08.2014, 7 U 1876/13, Rn 3, – juris; Beschluss vom 24.04.2014, Az 7 U 1501/13, jeweils m.w.N.; BGH, Urteil vom 26.09.1995 – VI ZR 151/94 = NZV 1996, 27). Nach den oben dargelegten Rechtsgrundsätzen hat die Klägerin diese zusätzlichen Anhaltspunkte für die Durchführung eines Abbiegemanövers mit dem Beweismaßstab des § 286 ZPO zu beweisen, was ihr im Ergebnis nicht gelungen ist.

aa) Insbesondere kann die Klägerin nicht geltend machen, eine Vertrauensgrundlage liege darin, dass der Beklagte zu 1 bei der Annäherung an den Kreuzungsbereich mit einer gegenüber dem dort zulässigen Tempolimit von 70 km/h herabgesetzten Geschwindigkeit gefahren sei (vgl. Schriftsatz vom 29.05.2017, S. 2 Mitte). Nachdem das Landgericht mit Beschluss vom 24.10.2017 darauf hingewiesen hatte, nach den Feststellungen des Sachverständigen habe die Kollisionsgeschwindigkeit 40 km/h betragen und der Beklagte auf das Motorrad der Klägerin auch noch reagiert, was die Annahme nahelege, er habe von 65 km/h auf 40 km/h abgebremst, hat die Klägerin eingewandt, der Sachverständige habe ein Abbremsen des Beklagten zu 1 nicht sicher bestätigt und darüber hinaus ihren Vortrag durch die Behauptung ergänzt, der Beklagte zu 1 habe sich maximal mit der späteren Kollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h der Einmündung genähert. Dieser Umstand vermag aber nicht einen Vertrauenstatbestand zu begründen, denn ein Herannahen mit langsamer Geschwindigkeit kann nicht mit einer eindeutigen Verlangsamung der Geschwindigkeit als vertrauensschaffende Vorbereitungshandlung zur tatsächlichen Durchführung des Abbiegevorgangs gleichgesetzt werden. Selbst wenn der Beklagte zu 1 sich der späteren Kollisionsstelle mit einer unter dem Tempolimit liegenden Geschwindigkeit von 40 km/h angenähert hätte, kann somit allein hieraus noch nicht auf die Verwirklichung eines Vertrauenstatbestandes geschlossen werden, der die Annahme der Klägerin gerechtfertigt hätte, der Beklagte zu 1 werde rechts abbiegen.

bb) Zudem kommt es im Rahmen der Kausalitätsprüfung auch entscheidend darauf an, ob die Klägerin, die als Wartepflichtige verpflichtet war, den vorfahrtsberechtigten Verkehr fortwährend zu beobachten, zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung, noch vor dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 nach links abzubiegen, aufgrund des von ihr tatsächlich wahrgenommenen gesamten Fahrverhaltens davon ausgehen durfte, der Beklagte zu 1 werde rechts einbiegen (vgl. OLG München, Urteil vom. 15.09.2017, 10 U 4380/16, Rn. 7, – juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.09.2015, 1 U 168/14, Rn 21 , – juris). Das kann aber nicht angenommen werden. Denn die Klägerin hat in der Klageschrift vom 03.04.2017 (vgl. S. 4 Mitte) und wiederholend auch in der Berufungsbegründung vom 06.09.2019 (vgl. S. 5/6) angegeben, dass sie vor ihrem Einbiegen in die B an der Haltelinie angehalten und – nach links blickend – das Fahrzeug des Beklagten zu 1 mit eingeschaltetem Blinker und mit langsamer Geschwindigkeit wahrgenommen habe.

Dann habe sie sich nach rechts vergewissert, und sei, als von dort kein Fahrzeug kam, sofort hinter dem Fahrzeug des Zeugen S hinterhergefahren, um links abzubiegen. „Im Zuge des Abbiegens“ habe „sie den Blick selbstverständlich wieder nach vorn in ihre Fahrtrichtung gerichtet“ und „dabei zwangsläufig den Beklagten zu 1 mit seinem herannahenden Fahrzeug“ wahrgenommen. Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass sie sich darüber vergewissert hat, ob der Beklagte beim weiteren Herannahen sein Fahrzeug auch tatsächlich deutlich wahrnehmbar verlangsamt bzw. die Geschwindigkeit infolge des angezeigten Abbiegens nunmehr eindeutig reduziert, sondern lediglich, dass ihrer Einschätzung nach das Beklagtenfahrzeug langsam gefahren ist (vgl. auch Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.09.2017, S. 2).

Hierzu steht zwar im Widerspruch, dass die Klägerin – anders als im Strafverfahren, in der Klageschrift und in der Berufungsbegründung – teilweise auch vorgetragen hat, sie könne sich daran erinnern, auch noch mal nach links geschaut zu haben. Aber auch in diesem Zusammenhang hat sie nicht geschildert, dass der Beklagte zu 1 seine Geschwindigkeit in Vorbereitung des Abbiegevorgangs nochmals deutlich verringert habe. Zudem stellt ein erneuter Linksblick unmittelbar vor dem Abbiegen eine nicht bewiesene Behauptung dar, und erklärt auch nicht, aus welchem Grund die Klägerin dann ihren Einbiegevorgang nicht abgebrochen hat, um die Kollision zu vermeiden, was nach den Angaben des Sachverständigen im Strafverfahren möglich gewesen wäre. Hinzu kommt, dass der Vortrag der Klägerin insgesamt widersprüchlich ist, wenn sie einerseits behauptet, der Beklagte habe sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von maximal 40 km/h und damit mit der Kollisionsgeschwindigkeit angenähert und andererseits aber vorträgt, er habe seine Geschwindigkeit nochmals deutlich verringert.

cc) Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Aussage des vorausfahrenden Zeugen S stützen. Der Zeuge konnte sich an das Fahrverhalten des Beklagten zu 1 und insbesondere nicht daran erinnern, mit welcher Geschwindigkeit der Beklagte zu 1 gefahren sei. Soweit er angegeben hat, dass er zum Zeitpunkt seines Abbiegens „schon gedacht habe, dass es (das Fahrzeug des Beklagten) noch etwas flott unterwegs war zum Abbiegen“, spricht dies ohnehin gegen die Darstellung der Klägerin, der Beklagte zu 1 sei so langsam gefahren, dass sie darauf vertrauen durfte, er werde abbiegen.

dd) Eine unmittelbar vor und bis zum Kreuzungsbereich als Kollisionsstelle gefahrene Geschwindigkeit von 40 km/h rechtfertigt für sich genommen auch nicht die Annahme, der Fahrer beabsichtige sogleich, nahezu rechtwinklig nach rechts abzubiegen, auch wenn dies fahrdynamisch unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten unter Umständen noch möglich wäre.

ee) Ob und inwieweit der Beklagte zu 1 vor dem Zusammenstoß noch in Reaktion auf das Verhalten der Klägerin gebremst hat, kann vor dem Hintergrund dieser Ausführungen im Ergebnis dahinstehen. Ohnehin könnte sich hierauf nach den eingangs dargestellten Rechtsgrundsätzen bei der Abwägung der gegenseitigen Verschuldensbeiträge weder der Beklagte noch die Klägerin berufen, da der Sachverständige aus technischer Sicht einen zur Vermeidung der Kollision durchgeführten Bremsvorgang des Beklagten zu 1 nicht sicher feststellen konnte, worauf auch die Klägerin zutreffend hingewiesen hat.

ff) Schließlich macht die Klägerin in diesem Zusammenhang auch ohne Erfolg geltend, eine eindeutige Verlangsamung der Geschwindigkeit ergebe sich daraus, dass der Beklagte zu 1 vorgetragen habe, er sei zuvor mit ca. 65 km/h unterwegs gewesen, während die Kollisionsgeschwindigkeit nach den Feststellungen des Sachverständigen 40 km/h betragen habe. Daher sei unter Berücksichtigung des von der Klägerin als feststehend bewerteten Umstands, dass der Beklagte zu 1 in Reaktion auf die Klägerin nicht gebremst habe, nach ihrer Ansicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1 in Vorbereitung des Abbiegemanövers seine Geschwindigkeit in vertrauensbegründender Weise verlangsamt habe.

Wie bereits in der angefochtenen Entscheidung und in den Hinweisbeschlüssen des Senats vom 30.09.2019 und 30.10.2019 ausgeführt wurde, kann aber im Ergebnis der Beweisaufnahme das Fahrverhalten des Beklagten vor dem Zusammenstoß einschließlich der gefahrenen Geschwindigkeiten weder durch das Sachverständigengutachten noch durch die Angaben des Zeugen hinreichend sicher festgestellt werden. Abgesehen davon, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Sachvortrag auch in der Berufungsbegründung von einer langsamen Annäherungsgeschwindigkeit entsprechend der festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h ausgeht, sind die Angaben des Beklagten zu 1, der stets behauptet hat, nicht geblinkt zu haben und der sich an den genauen Unfallhergang nicht erinnern kann, als nicht belastbar und überzeugend zu würdigen.

Zudem lässt die Klägerin außer Acht, dass der Beklagte zu 1 ebenso vorgetragen hat, er sei bis zur Kreuzung stets mit 65 km/h gefahren. Allein auf dieser Grundlage kann jedenfalls nicht dem Beweismaßstab des § 286 ZPO entsprechend sicher festgestellt werden, ob überhaupt und gegebenenfalls wann genau der Beklagte gebremst hat. Da auch das Bremsverhalten nicht sicher geklärt werden kann, bleiben Rückschlüsse auf gefahrene Geschwindigkeiten, die ebenso allein auf Angaben der Beteiligten beruhen, spekulativ und können der rechtlichen Bewertung nicht zugrunde gelegt werden, wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat.

gg) Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung der Klägerin, der Vortrag des Beklagten lasse keinen anderen Schluss zu, als dass er den Blinker in Vorbereitung eines Abbiegemanövers und nicht versehentlich gesetzt habe. Der Beklagte zu 1 hat konstant vorgetragen, er habe nicht geblinkt, da er sich auf dem Nachhauseweg befunden und schon aus diesem Grund keinen Anlass gehabt habe, in die S abzubiegen. Diesen Vortrag hat die Klägerin nicht widerlegen können. Es erschließt sich nicht, dass ein versehentliches Blinken nicht möglich gewesen sein sollte.

3. Entgegen der Ansicht der Berufung war auch keine weitere Beweiserhebung geboten. Zum Beweis ihrer Behauptung, der Beklagte zu 1 habe sich maximal mit der späteren Kollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h der Einmündung genähert, hat die Klägerin zwar Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, Erläuterung des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 03.11.2015 und des mündlichen, am 25.02.2016 vor dem Amtsgericht Borna erstatteten Gutachtens angeboten sowie die Ladung des Sachverständigen zum Termin angeregt (vgl. Schriftsatz vom 14.03.2018, Bl. 4), dem das Landgericht nicht nachgekommen ist. Hierin liegt aber entgegen der von der Berufung vertretenen Rechtsansicht kein Verfahrensverstoß, der Anlass dazu gibt, die Sachverständigenladung im Berufungsverfahren nachzuholen. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO gebietet es zwar, dass die Partei dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (st. Rspr. vgl. u. a. BGH, Urteile vom 17. Dezember 1996 – VI ZR 50/96, VersR 1997, 509; vom 07. Oktober 1997 – VI ZR 252/96, NJW 1998, 162; vom 22. Mai 2001 – VI ZR 268/00, VersR 2002, 120, 121 f.; Beschluss vom 21. Februar 2017 – VI ZR 314/15, VersR 2017, 1034 Rn. 3). Die Pflicht zur Anhörung des Sachverständigen besteht aber dann nicht, wenn das Gericht das Vorbringen einer Partei, zu der sie den Sachverständigen anhören will, zu ihren Gunsten unterstellt. Auch vorliegend kann die von der Klägerin behauptete Tatsache einer Annäherung des Beklagten zu 1 an die spätere Kollisionsstelle mit einer Geschwindigkeit von maximal 40 km/h auch zu ihren Gunsten als zutreffend unterstellt werden, ohne dass sich hieraus Änderungen in der rechtlichen Bewertung und damit auch – als Konsequenz – der Haftungsverteilung ergeben würden. Denn wie oben bereits dargelegt, kann auch in diesem Fall ausgeschlossen werden, dass das Landgericht zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre. Ist mangels Beweisbedürftigkeit des behaupteten Tatsachenvortrags aber keine erneute Sachverständigenbegutachtung geboten, kann sich eine Gehörsverletzung nicht auswirken und ist als nicht erheblich zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2018 – VI ZR 580/15 –, Rn. 8 – 10, juris). Aus diesem Grund ist auch dem in der Berufungsbegründung wiederholt gestellten Beweisantrag (vgl. Bl. 10) nicht nachzugehen.

4. Die Verwertung des Gutachtens aus dem Strafverfahren ist überdies zutreffend auf § 411 a ZPO gestützt worden und begegnet entgegen der Ansicht der Klägerin keinen verfahrensrechtlichen Bedenken. Beabsichtigt das Gericht von der Möglichkeit des § 411 a ZPO Gebrauch zu machen, muss es den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung rechtliches Gehör gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 05. Oktober 2016 – XII ZB 152/16 –, Rn. 8, juris; Zöller-Greger, ZPO, 33. Auflage, § 411 a ZPO, Rn. 4). Vorliegend war beiden Parteien das Gutachten hinlänglich bekannt und bestand zu einer Stellungnahme im Rahmen des Sachvortrags ausreichend Gelegenheit. Auf dieser Grundlage hat es ausgereicht, dass das Landgericht die Parteien auf die beabsichtigte Verwertung mit Beschluss vom 24.10.2017 hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme gem. § 411 Abs. 4 ZPO binnen einer Frist von 4 Wochen gegeben hat. Das Landgericht hat zudem mit hinreichender Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass es aufgrund des Sachverständigengutachtens von einer Kollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h und einer – wenn auch durch das Sachverständigengutachten nicht näher dargelegten – Reaktion des Beklagten zu 1 ausgehen werde. Die Klägerin hat innerhalb der hierzu gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben, sondern erst mit Schriftsatz vom 14.03.2018, ohne indes die vom Landgericht angenommenen sachverständigen Feststellungen zur Kollisionsgeschwindigkeit und des fehlenden sachverständigen Nachweises einer Bremsreaktion in Zweifel zu ziehen. Eines weiteren förmlichen Beschlusses zur Verwertung des Sachverständigengutachtens bedurfte es angesichts des erteilten Hinweises nicht. Die Klägerin hat zudem ihre Sachanträge sowohl in der Verhandlung vom 26.06.2018 als auch in der vom 30.04.2019 wiederholt, ohne einen Verstoß gegen das nach § 411 a ZPO zu beachtende Verfahren, die mangelnde Verwertbarkeit oder einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu rügen. Die rügelose Antragstellung führt nach § 295 Abs. 1 ZPO zum Verlust des Rügerechts, soweit disponible Verfahrensmängel betroffen sind. Zu den hiernach verzichtbaren Verfahrensmängeln zählen Verstöße gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ebenso wie die Verwertung unzulässiger Beweismittel (so auch OLG Köln, Urteil vom 13. September 2018 – 12 U 20/13 –, Rn. 26 – 27, juris; Zöller-Greger, a.a.O., § 295 ZPO, Rn. 3).

5. Im Ergebnis der vorstehenden Erwägungen sind die wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 StVG gegeneinander abzuwägen. Es begegnet keinen Bedenken, dass das Landgericht dem schwerwiegenden Vorfahrtsverstoß der Klägerin mit 2/3 gegenüber dem irreführenden Fahrverhalten des Beklagten mit 1/3 Haftungsanteil größeres Gewicht zumisst.

6. Inwieweit die von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen dem Grunde und der Höhe nach anzusetzen sind, hat der Senat bereits mit Beschluss vom 30.09.2019 ausgeführt, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend Bezug genommen wird. Zu weiteren Ausführungen besteht auch nach den ergänzenden Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 23.10.2019 kein Anlass.

a) Wie bereits ausgeführt, war eine Schätzung des Einkommens der Klägerin mangels Sachvortrags und auf der Grundlage der allein vorgelegten Rechnungen dem Grunde nach nicht möglich, worauf das Landgericht bereits mit Beschluss vom 24.10.2017 hingewiesen hat. Das Landgericht hat auch keinen entscheidungserheblichen Sachvortrag übergangen, da eine Schätzung des vor dem Unfall erzielten Einkommens auf der Grundlage des mit Schriftsatz vom 25.06.2018 zur Akte gereichten Steuerbescheides für das Jahr 2017 mangels Sachvortrags ebenso nicht möglich ist. Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Landgericht das Einkommen der Klägerin zu Recht auch nicht auf der Grundlage eines allein aufgrund der vorgelegten Rechnungen zu ermittelnden Umsatzes geschätzt. Die Klägerin hat hierzu nur vorgetragen, als Einzelgewerbetreibende Baudienstleistungen im Bereich der Landschafts- und Raumgestaltung sowie Bauzeichnungen, Auftragsmalereien, Fassadenbilder Arbeiten innerhalb von Gebäuden wie Malerarbeiten, kleinere Tischlerarbeiten sowie Leistungen im Außenbereich, Gartenpflege, Gestaltung und Pflege von Garten- und Parkanlagen, Tiergehegen und allgemein Bürodienstleistungen zu erbringen. Schon angesichts der Vielfalt der geschilderten Tätigkeitsbereiche kann ohne eine genauere Angabe zu den Betriebsausgaben bei der Durchführung dieser Arbeiten eine Schätzung des tatsächlich erzielten Einkommens nicht erfolgen. Die Betriebsausgaben lassen sich auch nicht aus den vorgelegten Rechnungen bzw. aus dem Umstand entnehmen, dass die Rechnungen diese nicht aufführen, denn an Dritte gerichtete Rechnungen lassen Betriebsausgaben regelmäßig nicht erkennen. Dass der Umsatz angesichts dieser Tätigkeiten jedenfalls nicht ohne weiteres mit dem erzielten Gewinn gleichzusetzen ist, bedarf daher keiner weiteren Erörterung.

Der Hinweisbeschluss des Landgerichts vom 24.10.2017 lässt entgegen der von der Berufung vertretenen Rechtsansicht auch erkennen, dass der geltend gemachten Einkommensausfall nicht hinreichend schlüssig und substantiiert vorgetragen wurde, denn das Landgericht hat darauf hingewiesen, dass erst „im übrigen“ der Klägerin Beweiserleichterungen nach §§ 252 S. 2, 287 ZPO zugute kommen sollen.

7. Auch zu dem geltend gemachten Schmerzensgeld wird auf die Ausführungen in den Hinweisbeschlüssen des Senats vom 30.09. und 30.10.2019 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 23.10.2019 geltend macht, das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld sei wegen unfallbedingt auftretender Schmerzen zu erhöhen, kann dem nicht gefolgt werden. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Arthrose und der Schulterschmerzen, die mangels gutachterlich bestätigten Kausalzusammenhangs zum Unfallgeschehen nicht schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen sind. Die Ausführungen des Gutachters sind überzeugend begründet, da er Hinweise auf eine schon vor dem Unfallgeschehen bestehende verschleißbedingte Schultereckgelenksarthrose festgestellt hat. Er konnte auch nicht bestätigen, dass diese durch das Unfallereignis ausgelöst oder verstärkt worden ist, da die zuvor bestehenden Veränderungen nur nicht früher bemerkt und dokumentiert worden seien. Das Vorbringen der Klägerin erschöpft sich demgegenüber im Wesentlichen darin, die sachverständigen Feststellungen in Zweifel zu ziehen, ohne indes die Begutachtung des Gerichtssachverständigen durch dem entgegenstehende medizinische Gutachten oder substantiierten Sachvortrag zu belegen.

Das Landgericht hat zu Recht den Beweis als nicht geführt angesehen, dass das Schmerzsyndrom auf den Unfall zurückzuführen ist. Das Landgericht hat sich zur Begründung auf die sachverständigen Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. W gestützt, der darauf hingewiesen hat, dass hiervon auch Stellen des Körpers betroffen seien, die ohne Zweifel nicht mit dem Unfall im Zusammenhang stünden. Als entscheidend hat der Sachverständige zudem angesehen, dass die Klägerin angegeben habe, auch zuvor schon starke Schmerzmittel eingenommen zu haben und andere Verletzungen im Bereich des durch das Unfallgeschehen unstreitig nicht frakturierten rechten Sprunggelenks bestanden hätte, so dass im Bereich der alten Verletzung auch eine Schmerzproblematik bestanden hätte. Soweit die Klägerin dies mit dem Hinweis auf das zur Behandlung der offenen Tibiaschaftfraktur im rechten Schienbein eingebrachte Osteosynthesematerial und die durch Dr. W „im Narbenbereich“ festgestellte Allodynie in Zweifel ziehen will, hat der Sachverständige dies als möglich bezeichnet, ohne indes im Ergebnis die Entstehung des chronischen Schmerzsyndroms sicher auf den Unfall zurückführen zu können, da er den Schmerzzustand vor dem Unfall nicht bewerten konnte. Die Klägerin hat somit nicht nachgewiesen, dass das chronische Schmerzsyndrom durch den Unfall ausgelöst wurde.

Letztlich kann auch dahinstehen, ob ein bei der Klägerin bestehendes chronisches Schmerzsyndrom durch den Unfall hervorgerufen oder verstärkt wurde, da auch in diesem Fall – wie bereits mit Beschluss vom 30.10.2019 ausgeführt – das zuerkannte Schmerzensgeld als angemessen anzusehen ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Der Gegenstandswert wurde gemäß den gestellten Anträgen gem. § 3 ZPO festgesetzt.

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