BGH, Urteil vom 09.02.2018 – V ZR 311/16

Aktenzeichen: V ZR 311/16

Im Namen des Volkes

Urteil

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Januar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand:

Die Beklagten zu 2 bis 4 sind die Rechtsnachfolger der ursprünglich beklagten Eheleute R., die im Laufe des Rechtsstreits verstorben sind. Die Eheleute R. waren Eigentümer eines Wohnhauses. Am 8. Dezember 2011 führte der Beklagte zu 1 in ihrem Auftrag am Flachdach des Hauses Reparaturarbeiten durch. Im Verlauf der von ihm mit Hilfe eines Brenners durchgeführten Heißklebearbeiten verursachte er schuldhaft die Entstehung eines Glutnestes unter den aufgeschweißten Bahnen. Am Abend bemerkten die Eheleute Flammen in dem Bereich, in dem der Beklagte zu 1 gearbeitet hatte.

Der alarmierten Feuerwehr gelang es nicht, das Haus zu retten. Es brannte vollständig nieder. Durch den Brand und die Löscharbeiten wurde das an das brennende Haus unmittelbar angebaute Haus der Nachbarin erheblich beschädigt.

Das Haus der Nachbarin ist bei der Klägerin versichert, die ihr eine Entschädigung geleistet hat. Die Klägerin verlangt nun aus übergegangenem Recht gemäß § 86 Abs. 1 VVG von den Beklagten Ersatz. Das Landgericht hat den Beklagten zu 1 zur Zahlung von 97.801,29 € verurteilt; während des Berufungsverfahrens wurde über dessen Vermögen das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Die gegen die Beklagten zu 2 bis 4 gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin, mit der diese eine Verurteilung auch der Beklagten zu 2 bis 4 erstrebt hatte, zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten zu 2 bis 4 beantragen, verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts sind die Beklagten zu 2 bis 4 nicht zum Ersatz verpflichtet. Eine Haftung aus unerlaubter Handlung scheide aus, da keine Anhaltspunkte bestünden, dass ihre Rechtsvorgänger den Dachdecker nicht sorgfältig ausgewählt hätten. Der Klägerin stehe auch kein verschuldens-unabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu. Die Rechtsvorgänger der Beklagten zu 2 bis 4, die Eheleute R., seien nicht Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB. Sie hätten mit der sorgfältigen Auswahl des Beklagten zu 1 alles Erforderliche getan, um das Risiko eines Brandschadens im Zuge der Dachdeckerarbeiten auszuschließen. Eine Beaufsichtigungspflicht oder Pflicht zur Erteilung von Anweisungen hinsichtlich der Arbeitsausführung habe sie nicht getroffen. Schließlich seien sie nach Beendigung der Arbeiten auch nicht verpflichtet gewesen zu prüfen, ob sich unterhalb der Dachabdeckung ein Glutnest gebildet haben könnte, was nach den örtlichen Gegebenheiten zudem gar nicht möglich gewesen wäre.

 

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagten ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG zu.

1. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (vgl. nur Senat, Urteil vom 30. Mai 2003 V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 102 f.; Urteil vom 14. November 2003 V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 44 f.; Urteil vom 18. September 2009 V ZR 75/08, NJW 2009, 3787 Rn. 9 jeweils mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn ein Brand auf ein fremdes Grundstück übergreift, da der Nachbar die Gefahr in aller Regel nicht erkennen und die Einwirkungen auf sein Grundstück daher nicht rechtzeitig abwehren kann (Senat, Urteil vom 1. Februar 2008 V ZR 47/07, NJW 2008, 992 Rn. 7).

2. Weitere Voraussetzung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist, dass der Anspruchsgegner als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist (Senat, Urteil vom 1. Februar 2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992 Rn. 8 mwN).

a) Die Störereigenschaft folgt nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine „Sicherungspflicht“, also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteil vom 14. November 2003 – V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 42; Urteil vom 1. April 2011 V ZR 193/10, NJW-RR 2011, 739 Rn. 12 mwN).

b) Mit der Sicherungspflicht ist allerdings nicht – wie das Berufungsgericht meint – eine Sorgfaltspflicht im schuldrechtlichen Sinne gemeint, die, um einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch zu begründen, von dem Grundstückseigentümer oder -besitzer verletzt worden sein muss. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Grundstückseigentümer oder -besitzer nach wertender Betrachtung für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks verantwortlich ist, er also zurechenbar den störenden Zustand herbeigeführt hat (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 2011 V ZR 193/10, NJW-RR 2011, 739 Rn. 6). Wesentliche Zurechnungskriterien sind dabei u.a. die Veranlassung, die Gefahrenbeherrschung oder die Vorteilsziehung (vgl. Senat, Urteil vom 30. Mai 2003 V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 106; Urteil vom 1. April 2011 – V ZR 193/10, NJW-RR 2011, 739 Rn. 8). Bei natürlichen Immissionen ist entscheidend, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält (vgl. Senat, Urteil vom 14. November 2003 – V ZR 102/03, BGHZ, 157, 33, 42 mwN). Sachgründe, die es rechtfertigen, dem Grundstücks-eigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen und ihn damit als Störer zu qualifizieren, hat der Senat etwa bejaht, wenn ein Haus infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte oder Leitungen in Brand gerät (Senat, Urteil vom 11. Juni 1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 70; Urteil vom 1. Februar 2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992, 993) oder Wasser infolge eines Rohrbruchs auf das Nachbargrundstück gelangt (Senat, Urteil vom 30. Mai 2003 V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 105 f.). Hierdurch verursachte Störungen stellen kein allgemeines Risiko dar, das sich wie etwa ein Blitzschlag – ebenso gut bei dem Haus des Nachbarn hätte verwirklichen können und dessen Auswirkungen von dem jeweils Betroffenen selbst zu tragen sind. Auch wenn konkret kein Anlass für ein vorbeugendes Tätigwerden bestanden haben mag, beruhen sie auf Umständen, auf die grundsätzlich der Grundstückseigentümer bzw. -besitzer, und nur dieser, Einfluss nehmen konnte (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 1999 V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 70).

3. Gemessen an diesen Grundsätzen haften die Beklagten dem Grunde nach in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB für die aus dem Brand entstandenen Schäden am Nachbarhaus.

a) Die Eigentümerin des Nachbargebäudes hatte keine tatsächliche Möglichkeit, das drohende Übergreifen des Brandes auf ihr Grundstück durch die Geltendmachung von Abwehransprüchen gemäß § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1

BGB zu verhindern. Die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch den Brand und die Löscharbeiten verursachten erheblichen Beschädigungen ihres Gebäudes übersteigen das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Einwirkung. Die Beeinträchtigung beruhte auch auf einer privatwirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks der Beklagten.

b) Die Rechtsvorgänger der Beklagten sind als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB anzusehen.

aa) Der Annahme einer Verantwortlichkeit steht nicht entgegen, dass der Brand auf die Handlung eines Dritten, nämlich auf die Arbeiten des von den Rechtsvorgängern der Beklagten mit der Vornahme einer Dachreparatur beauftragten Werkunternehmers zurückzuführen ist. Mittelbarer Handlungsstörer ist auch derjenige, der die Beeinträchtigung des Nachbarn durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht (vgl. Senat, Urteil vom 7. April 2000 – V ZR 39/99, BGHZ 144, 200, 203 mwN; Urteil vom 18. Dezember 2015 – V ZR 55/15, NZM 2016, 735 Rn. 22). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Zurechnung des durch den Handwerker herbeigeführten gefahrträchtigen Zustands des Grundstücks nicht darauf an, ob die Rechtsvorgänger der Beklagten bei der Auswahl des Handwerkers Sorgfaltspflichten verletzt haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob es Sachgründe gibt, die aufgetretene Störung ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen. Das ist der Fall. Die Rechtsvorgänger der Beklagten waren diejenigen, die die Vornahme von Dacharbeiten veranlasst haben und die aus den beauftragten Arbei-ten Nutzen ziehen wollten (vgl. hierzu auch Senat, Urteil vom 18. Dezember 2015 – V ZR 55/15, NZM 2016, 735 Rn. 22). Dass sie den Handwerker sorgfältig ausgesucht und ihm die konkrete Ausführungsart nicht vorgeschrieben haben, ändert nichts daran, dass sie mit der Beauftragung von Dacharbeiten eine Gefahrenquelle geschaffen haben und damit der bei der Auftragsaus-

führung verursachte Brand auf Umständen beruhte, die ihrem Einflussbereich zuzurechnen sind.

bb) Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Entscheidung des Senats zur eingeschränkten Verantwortlichkeit des Eigentümers für Handlungen seines Mieters (Urteil vom 27. Januar 2006 – V ZR 26/05, NJW 2006, 992 Rn. 5). Danach kann der Eigentümer für Störungshandlungen seines Mieters nur verantwortlich gemacht werden, wenn er dem Mieter den Gebrauch seiner Sache mit der Erlaubnis zu störenden Handlungen überlassen hat oder es unterlässt, ihn von einem fremdes Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch abzuhalten. Maßgeblich hierfür ist die Überlegung, dass ausgleichspflichtig derjenige ist, der die Nutzungsart des Grundstücks bestimmt (Senat, Urteil vom 1. April 2011 V ZR 193/10, NJW-RR 2011, 739 Rn. 8) und dass dies bei einem vermieteten Grundstück grundsätzlich der Mieter ist. Diese Grundsätze sind auf den von einem Grundstückseigentümer beauftragten Handwerker nicht übertragbar. An-ders als ein Mieter ist der Handwerker nicht Nutzer des Grundstücks, da er nicht dessen Nutzungsart bestimmt, sondern nach den Weisungen des Grundstückseigentümers lediglich bestimmte Tätigkeiten vornimmt (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juli 2010 – V ZR 217/09, NJW 2010, 3158 Rn. 12 und 16). Dem Grundstückseigentümer bleibt die Möglichkeit, jederzeit auf Art und Umfang der von dem Handwerker durchgeführten Arbeiten Einfluss zu nehmen (vgl. Senat, Urteil vom 23. Februar 2001 – V ZR 389/99, BGHZ 147, 45, 52).

c) Der entsprechenden Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB steht schließlich nicht entgegen, dass der Eigentümerin des Nachbargrundstücks gegen den Handwerker Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung zustehen. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist zwar subsidiär; das schließt eine Anwendung grundsätzlich aus, soweit eine andere in sich geschlossene Regelung besteht (Senat, Urteil vom 19. September 2008 V ZR 28/08, BGHZ 178, 90 Rn. 23; vgl. auch BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 III ZR 198/98, BGHZ 142, 227, 236). So verhält es sich hier jedoch nicht. Das Bestehen einer Gesetzeslücke kann nicht damit verneint werden, dass ein anderer Haftungstatbestand eingreift (vgl. Senat, Urteil vom 15. Juli 2011 V ZR 277/10, VersR 2012, 1265 Rn. 22; Urteil vom 8. Oktober 2004 V ZR 84/04, juris Rn. 14; Urteil vom 30. Mai 2003 V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 104). Das gilt umso mehr, als hier der Haftungstatbestand die Haftung einer dritten Person betrifft.

III.

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen zu der Höhe des geltend gemachten Anspruchs getroffen hat. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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