Keine Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten wenn der Empfänger nicht mehr an der Anschrift wohnt (OLG München, Endurt. v. 18.10.2017 – 7 U 530/17)

Die Zivilprozessordnung (ZPO) sieht für Fälle, in denen dem Empfänger ein Schriftstück nicht persönlich übergeben werden kann, die so genannte Ersatzzustellung vor, wonach das Schriftstück in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt werden kann (§§ 178 Absatz 1 Nummer 1, 180 ZPO). Die dadurch bewirkte Zustellung löst Fristen für die Einlegung von Rechtsmitteln aus. Wer beispielsweise nicht bei Gericht anzeigt, dass er sich gegen eine Klage verteidigen möchte, riskiert den Erlass eines gegen ihn gerichteten Versäumnisurteils. Auch hiergegen kann der Beklagte Einspruch erheben, was an eine Zweiwochenfrist gebunden ist. Das Oberlandesgericht München hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der Beklagte sowohl die Frist für die Verteidigungsanzeige als auch die Einspruchsfrist für das dann erlassene Versäumnisurteil versäumte. Der Beklagte machte geltend, zum Zeitpunkt der Ersatzzustellungen gar nicht mehr in der Wohnung gewohnt zu haben. Das Landgericht wies seinen Wiedereinsetzungsantrag zurück und bestätigte das Versäumnisurteil. Die Berufung des Beklagten zum OLG München hatte hingegen Erfolg.
Nach Auffassung des OLGs kam es auf den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten gar nicht an, denn die Frist zur Erhebung des Widerspruchs wurde durch die Ersatzzustellung am vormaligen Wohnsitz des Beklagten nicht ausgelöst. Die zweiwöchige Frist beginnt mit der Zustellung oder – wenn eine solche nicht erfolgt ist – mit der Kenntnis des Versäumnisurteils (§ 189 ZPO). Da es hier an einer ordnungsgemäßen Zustellung fehlt, ist der Zeitpunkt der Kenntnis maßgeblich. Das OLG prüfte und verneinte die Voraussetzungen der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach §§ 178, 180 ZPO: Die Ersatzzustellung und damit auch die Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten des Adressaten setzt voraus, dass die Wohnung tatsächlich von diesem bewohnt wird. Fehlt es an dieser Voraussetzung, kann eine Zustellung im Wege der Ersatzzustellung an dieser Anschrift nicht bewirkt werden. Die Postzustellungsurkunde, die die ordnungsgemäße Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten ausweist, ersetzt nicht die Voraussetzung, dass der Adressat zum Zeitpunkt der Zustellung auch tatsächlich dort wohnt. Der melderechtlichen An- und Abmeldung kommen für die Frage der zustellungsrechtlichen Wohnung keine unmittelbare Aussagekraft, sondern nur eine indizielle Wirkung zu. Maßgeblich sei vielmehr, so das OLG München, ob der Adressat durch einen nach außen erkennbaren Akt dokumentiert habe, dass er die Wohnung aufgegeben habe. Für die Beurteilung der Aufgabe des Wohnsitzes komme es auf die Umstände des Einzelfalls an, wie die Dauer der Abwesenheit, der Kontakt zu den in der Wohnung verbliebenen Personen und die Möglichkeit der Rückkehr in die Wohnung. Als Akt der Aufgabe wertete das OLG hier die melderechtliche Abmeldung des Beklagten an dem Wohnsitz. Nach Auffassung des OLG München schadet es nicht, wenn der Adressat anlässlich seines Fortzugs weder den Briefkasten noch das auf ihn hinweisende Namensschild entferne. Ein solcher Rechtsschein genüge für die Annahme einer ordnungsgemäßen Zustellung nicht. Etwas anderes gelte nur für Fälle, in denen der Beklagte in Täuschungsabsicht eine unzutreffende Zustellanschrift angegeben habe.

Hintergrund: Die Entscheidung befasst sich mit grundlegenden Fragen des Zustellungsrechts, wirft aber weder neue Fragen auf noch weicht sie von bisheriger Rechtsprechung zu den Problempunkten ab. Selbstverständlich setzt eine Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten voraus, dass der Adressat die Wohnung, an dem sich der Briefkasten befindet, tatsächlich auch bewohnt. Regelmäßig tun sich Gerichte schwer damit, die Rechtmäßigkeit einer Zustellung zu beanstanden, denn das Bestreiten des Zugangs, das häufig zum Verteidigungsvorbringen der Beklagten gehört, ruft bei Gerichten praktisch reflexartig Ablehnung und Unglauben hervor. Interessant an der Entscheidung ist, dass sie sich explizit mit der Frage auseinandersetzt, dass die An- und Abmeldung nur ein Indiz darstellt und nicht mehr, aber auch nicht weniger, und dass das Entfernen des Namens vom Briefkasten nicht ausreicht, um dem Beklagten entgegenzuhalten, dass er die Einlegung in den Briefkasten gegen sich gelten lassen muss.

OLG München, Endurteil vom 18.10.2017 – 7 U 530/17

LG München I, Urteil vom 18.01.2017 – 22 O 770/16