Bestandskraft, Rechtskraft & Vollziehbarkeit im Verwaltungsrecht

Im Verwaltungsverfahren ist häufig von Bestandskraft, Rechtskraft und der sofortigen Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten die Rede. Diese Begriffe spielen in dem sehr von Formalien geprägten Verwaltungsrecht eine große Rolle, denn sie sind entscheidend dafür, ob ein Bescheid oder eine Entscheidung durchgesetzt werden kann oder nicht.

Bestandskraft

Bestandskräftig wird ein Verwaltungsakt, der auch als Bescheid bezeichnet wird, mit Ablauf der Widerspruchsfrist ohne dass gegen ihn Widerspruch erhoben worden ist. Die Widerspruchsfrist beträgt nach § 70 Absatz 1 VwGO grundsätzlich einen Monat ab Bekanntgabe. Wenn der Verwaltungsakt nicht mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden ist, beträgt die Widerspruchsfrist ein Jahr (§ 70 Absatz 2, § 58 Absatz 2 VwGO), wobei die Frist mit „Zustellung, Eröffnung oder Verkündung“ zu laufen beginnt. Wenn sich der Bescheid an den Adressaten richtet, ist der Fristbeginn unproblematisch, denn der Adressat erlangt regelmäßig Kenntnis vom Vorliegen des Bescheids. Anders sieht der Fall dann aus, wenn ein Betroffener bestimmungsgemäß gar keine Kenntnis von einem Bescheid erhält, wie dies im Baurecht unter Nachbarn der Fall ist. Denn oft erhalten Nachbarn von dem auf dem Nachbargrundstück genehmigten Vorhaben erst mit Aufnahme der Bauarbeiten Kenntnis. Die Rechtsprechung lässt in solchen Fällen für den Fristbeginn ausreichen, wenn der Nachbar vom Vorhaben Kenntnis erlangt. Das bedeutet, dass Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück und allemal Arbeiten am Rohbau die Jahresfrist auslösen. Sofern gegen den Bescheid Widerspruch erhoben wird, ergeht in der Regel ein Widerspruchsbescheid. Wenn gegen diesen keine Klage erhoben wird, wird der Bescheid bestandskräftig.

Ein Prinzip der einheitlichen Bestandskraft gibt es nicht. Vielmehr kann Bestandskraft für mehrere Beteiligte zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten. So kann beispielsweise gegenüber dem Adressaten die Bestandskraft nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist eintreten, wohingegen die Bestandskraft für Nachbarn nach einem Jahr eintritt.

Rechtskraft

Von der Bestandskraft ist die Rechtskraft zu unterscheiden, die dann relevant wird, wenn ein Verfahren bei Gericht betrieben wird. Gerichtsentscheidungen (z. B. Urteile und Beschlüsse) werden dann rechtskräftig, wenn gegen sie nicht mehr vorgegangen werden kann. Das ist dann der Fall, wenn Rechtsmittel nicht vorgesehen sind oder wenn die jeweilige Rechtsmittelfrist abgelaufen ist ohne dass das entsprechende Rechtsmittel eingelegt oder zurückgenommen worden ist. Insoweit können auch Verwaltungsakte „rechtskräftig“ werden. Die Verwendung des Begriffes der Rechtskraft für Verwaltungsakte ist aber nur dann rechtlich zutreffend, wenn das Verwaltungsverfahren bei Gericht anhängig war (z. B. Verpflichtungsklage, Anfechtungsklage), denn ohne ein Gerichtsverfahren ist für Rechtskraft kein Raum. Die Begriffe „Bestandskraft“ und „Rechtskraft“ bezeichnen aber im Grunde dasselbe, nämlich, dass gegen die Entscheidung (Bescheid oder Urteil) nicht mehr vorgegangen werden kann und dass sie endgültig und unanfechtbar ist.

Vollziehbarkeit vs. Sofortige Vollziehbarkeit

Wie der Name sagt, bezieht sich die „Vollziehbarkeit“ auf die Durchsetzung eines Verwaltungsakts. Das Gesetz unterscheidet drei Formen der Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten:

  • die Vollziehbarkeit mit Eintritt der Unanfechtbarkeit (§ 80 Absatz 1 VwGO),
  • die gesetzlich vorgesehene Vollziehbarkeit (§ 80 Absatz 2 Satz 1 Nummern 1 bis 3 VwGO) und
  • die behördlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit (§ 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 VwGO)

Vollzogen können Verwaltungsakte dann, wenn sie unanfechtbar (bestandskräftig oder rechtskräftig) geworden sind, denn Widerspruch und Anfechtungsklage bewirken einen Suspensiveffekt, der die Wirkung des Verwaltungsakts aussetzt für die Dauer des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens (vgl. § 80 Absatz 1 VwGO). Hiervon gibt es Ausnahmen, wenn die sofortige Vollziehbarkeit gesetzlich vorgesehen oder behördlich angeordnet ist. So ist beispielsweise für öffentliche Abgaben und Kosten die sofortige Vollziehbarkeit gesetzlich vorgesehen, sodass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Bescheid keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 VwGO).

Wer sich gegen einen Bescheid zur Wehr setzen möchte, sollte zunächst prüfen, ob sein Widerspruch aufschiebende Wirkung entfaltet. Spiegelbildlich sollte derjenige, der Adressat eines ihn begünstigenden Verwaltungsakts ist, bei der Behörde beantragen, dass die sofortige Vollziehung angeordnet wird, damit Widersprüche keine aufschiebende Wirkung entfalten.