Universität darf nach 20 Jahren Doktortitel entziehen wegen Plagiats – BVerwG, Urt. v. 21.06.2017 – 6 C 3.16

Wegen des Vorwurfs, in ihrer Doktorarbeit mit dem Titel „Amerika: Das Experiment des Fortschritts ‑ Ein Vergleich des politischen Denkens in den USA und Europa“ fremde Inhalte nicht ausreichend kenntlich gemacht zu haben, entzog die Universität Bonn der Politikerin Margarita Mathiopoulos (FDP) den Doktortitel. Diese klagte gegen die Entziehung. Ohne Erfolg, denn sowohl das Verwaltungsgericht Köln als auch das Oberverwaltungsgericht Münster wiesen die Klage zurück. Die hiergegen eingelegte Revision wurde nun vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen (Urteil vom 21.06.2017 – 6 C 3.16).

Grund: Anlässlich der Einreichung ihrer Dissertation im Jahr 1986 erklärte die Klägerin an Eides statt, dass Stellen der Arbeit, „… die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen worden …“ sind, in jedem Fall als Entlehnung kenntlich gemacht wurden. Nach Verleihung des Doktortitels im November 1986 wurde die Dissertation im Jahr 1987 veröffentlicht. Nachdem im Jahr 1989 erste Vorwürfe geäußert wurden, dass die Dissertation an etlichen Stellen nicht kenntlich gemachte Fremdinhalte beinhalte und stellenweise sogar „beinahe wörtlich“ abgeschrieben worden sei, setzte die Fakultät eine Kommission ein. Die Kommission attestierte der Arbeit eine nicht geringe Anzahl „methodisch bedenklicher Stellen“, gelangte aber zu der Überzeugung, dass eine Täuschung der Fakultät zu verneinen sei und empfahl, von einer Titelentziehung abzusehen. Die Fakultät folgte dieser Empfehlung und teilte dies der Klägerin im Jahr 1991 mit.

Nachdem im Jahr 2011 abermals Plagiatsvorwürfe erhoben wurden und auf der Internetseite „VroniPlag“ auf wörtliche Übernahmen ohne ordnungsgemäße Kennzeichnung im Umfang von ca. 46% hingewiesen wurde, beschloss der mit der Sache befasste Promotionsausschuss, ein Verfahren zur Entziehung des Doktortitels einzuleiten. Maßgeblich für diese Entscheidung war, dass nach einer abermaligen Prüfung der Arbeit von einer Täuschungsabsicht der vor 25 Jahren eingereichten Doktorarbeit auszugehen war.

Im Verwaltungsverfahren und bei den nachfolgenden Gerichtsverfahren wurde über Mängel der Doktorarbeit nicht ernsthaft gestritten. Vielmehr ging es hauptsächlich um verfahrensrechtliche Fragen: So berief sich die Klägerin darauf, dass aus der Beendigung des Verfahrens im Jahr 1991 eine verbindliche Regelung dahingehend herzuleiten sei, dass eine Titelentziehung nicht mehr in Betracht komme. Die Entziehung sei außerdem ermessensfehlerhaft und die Fakultät hätte zumindest die Möglichkeit einräumen müssen, die Arbeit nachzubessern. Ohne Erfolg: Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung führte zu dem Ergebnis, dass die Entziehung des Titels zu Recht erfolgte. Dass das erste Verfahren im Jahr 1991 ohne Entziehung des Titels beendet worden ist, hindere die Fakultät nicht daran, ein neues Entziehungsverfahren einzuleiten. Rechtlich sei die Verfahrensbeendigung bereits nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren, sondern als verfahrensbeendigende Handlung ohne eigenen Regelungsgehalt. Vielmehr könne dem Beendigungsschreiben aus 1991 nicht die Aussage entnommen werden, dass künftig eine Entziehung des Titels nicht mehr in Betracht komme. Aber selbst wenn man das anders sehen sollte, wäre die Fakultät nicht gehindert, diesen – an dieser Stelle einmal unterstellten – Verwaltungsakt zurückzunehmen nach § 48 Absatz 1 Satz 1 VwVfG NRW. Die Rücknahme eines Verwaltungsakts setzt dessen Rechtswidrigkeit voraus, die, sofern die Einstellung des Verfahrens zu Unrecht erfolgte, zu bejahen ist. Und die Einstellung des Verfahrens erweise sich angesichts der durch VroniPlag ans Licht gebrachten Mängel der Arbeit als rechtswidrig. So oder so konnte sich die Klägerin nach Auffassung des VG und des OVG nicht auf darauf berufen, dass die Titelentziehung mit der Beendigung des Verfahrens im Jahr 1991 obsolet geworden ist. Das BVerwG hat diese Rechtsauffassung gebilligt: Die Einstellung des Verfahrens im Jahr 1991 hinderte die Universität daher nicht daran, später ein neues Entziehungsverfahren einzuleiten.

Besonders an dem Verfahren ist, dass nach der für den Zeitpunkt der Titelentziehung maßgeblichen Rechtslage in Nordrhein-Westfalen eine die allgemeine Entziehungsregelung des § 48 VwVfG MRW verdrängende spezielle Regelung in § 20 Absatz 2 der fakultätseigenen Promotionsordnung (PromO) enthalten war (vgl. § 1 Absatz 1 VwVfG NRW). Bei der PromO handelt es sich um eine auf dem nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz beruhende vom Fachbereichsrat zu erlassende Hochschulprüfungsordnung, die Regelungen zu Promotionsverfahren trifft und zu Folgen bei Verstößen (§§ 64 Absatz 1 Nummer 9, 67 Absatz 3 Satz 3 HG NRW). Diesen Anwendungsvorrang erkennt das VG Gelsenkirchen (Urt. v. 12.03.2012 – 4 K 3125/08) nicht an und wendet stattdessen die allgemeinen Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG des Landes an. Nach Auffassung des OVG Münster sei die Satzungsbestimmung des § 20 Absatz 2 PromO der Fakultät mit dem Vorbehalt des Gesetzes vereinbar. Das Prinzip des Vorbehaltes des Gesetzes besagt, dass wesentliche Entscheidungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu regeln sind und nicht an andere Entscheidungsträger – z. B. die Universität – delegiert werden dürfen. „Wesentlich“ im Sinne des Vorbehaltes des Gesetzes sind grundsätzlich solche Entscheidungen, die in Grundrechte eingreifen. Auch Satzungsbestimmungen können dem Vorbehalt des Gesetzes genügen, wenn sie von einer mit Satzungsautonomie ausgestatteten Selbstverwaltungskörperschaft auf Grundlage einer bestimmten und formell-gesetzlichen Grundlage erlassen worden sind. Das setzt voraus, dass die grundrechtsrelevanten Regelungen hinreichend bestimmt und konkret in einem formellen Gesetz vorgegeben sind.

Hintergrund: Unter „formellen Gesetzen“ versteht man Parlamentsgesetze, die von einem Landesparlament (Landtag) oder dem Bundesparlament (Bundestag) erlassen werden. Unter den Begriff „materielle Gesetze“ fallen hingegen jegliche Normen, d.h. neben formellen Gesetzen (z. B. BGB, HGB, HG NRW) auch Rechtsverordnungen (z. B. StVO) und Satzungen (z. B. PromO). Formelle Gesetze sind deshalb stets auch Gesetze im materiellen Sinn, aber nicht umgekehrt. Rechtsverordnungen und Satzungen sind zwar materielle Gesetze, da sie etwas vorschreiben, aber keine formellen Gesetze, da sie nicht von einem parlamentarischen Gesetzgeber erlassen worden sind.

Sofern man die Vorschrift des § 20 Absatz 2 PromO dahingehend auslegt, dass nur wissenschaftsbezogene Verstöße zu einer Titelentziehung führen, so urteilte das BVerwG im Einklang mit dem OVG Münster, genüge die Vorschrift den Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes.

Im Ergebnis folgte das BVerwG auch der Rechtsauffassung des OVG dahingehend, dass es unbedentlich sei, dass die Satzung keine Entziehungsfrist vorsehe. Das OVG hatte dies damit begründet, dass die Vorschrift als Ermessennorm ausgestaltet sei und im Rahmen der Ermessensentscheidung Aspekte des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen sind. Der Umstand, dass für Bachelor- und Mastergrade eine fünfjährige Titelentziehungsfrist vorgesehen sei, stelle keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) dar. Zwar liege eine Ungleichbehandlung vor, diese ist aber aufgrund des Umstandes, dass Bachelor- und Mastergrade zugleich berufsqualifizierende Abschlüsse darstellen, gerechtfertigt. Das BVerwG bemüht hierzu außerdem das Argument, dass die Verleihung des Doktortitels auch mit Erwartungen an künftiges Verhalten  verknüpft seien, was es als gerechtfertigt erscheinen lasse, dass die Promotionsordnung keine Verjährungsfrist vorsieht.

Die Voraussetzungen der Titelentziehung wurden vom VG, vom OVG und nun auch vom BVerwG bejaht, denn die Klägerin hat über die Eigenständigkeit der erbrachten wissenschaftlichen Leistung vorsätzlich getäuscht. So habe sie systematisch fremde Inhalte übernommen und dies bewusst verschleiert. Im Einzelnen seien ihr folgende Verstöße anzulasten:

  • Texte aus dem Englischen übersetzt und nicht oder nur geringfügig umformuliert,
  • Übernahme von SekundärliteraturInhalten nebst Primärliteratur-Quellenangaben ohne Angabe der Sekundärliteratur,
  • Sinngemäße Textübernahmen, bei denen anstelle der zutreffenden Quelle auf einen anderen Text desselben Autors verwiesen wurde,
  • Sinngleiche Umformulierungen ohne Quellenangabe.

Hintergrund: Unter „Primärliteratur“ versteht man gemeinhin Quellen aus erster Hand bzw. die sich erstmals mit einem Thema befassen, wohingegen „Sekundärliteratur“ solche Quellen bezeichnet, die sich mit Inhalten von Primärliteratur auseinandersetzen. Beispiel: juristische Primärliteratur können Gerichtsentscheidungen sein, wohingegen Fachbeiträge, die sich mit Gerichtsentscheidungen auseinandersetzen regelmäßig als Sekundärliteratur angesehen werden.

Mit dem Einwand der Verjährung blieb die Klägerin erfolglos: Die Titelentziehung unterliege nur dann der Verjährung, so entschied das OVG, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Eine solche Regelung existiert hier jedoch nicht. Insbesondere sei die allgemeine Verjährungsregelung des § 194 BGB nicht auf Fälle der Rücknahme anzuwenden.

Dieser Argumentation folgte das Bundesverwaltungsgericht, das sich auch zu der Ermächtigungsgrundlage und dem Vorbehalt des Gesetzes positioniert hat. So stelle § 20 der Promotionsordnung eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar, denn der gesetzliche Regelungsauftrag sei bei der berufungsgerichtlichen Auslegung dahingehen, dass nur wissenschaftsbezogene Verstöße eine Entziehung des Doktortitels zulassen, gedeckt. Da zur akademischen Selbstverwaltung im Sinne von Art. 5 Absatz 3 Satz 1 GG insbesondere das Promotionsrecht gehöre, so das BVerwG, sei eine detailliertere gesetzliche Regelung nicht notwendig. Die Entscheidung kann daher als Stärkung der Universitäten interpretiert werden, da ihnen im Bereich der Entziehung von Doktortiteln ein erheblicher Raum für eigenverantwortliche Regelungen gegeben wird. Zu der Frage der Verjährbarkeit hat das BVerwG erwartungsgemäß entschieden, dass die Möglichkeit der Entziehung von Doktortiteln nicht gesetzlich befristet sein muss. Damit hat das BVerwG im Einklang mit den Vorinstanzen eine Entziehung des Doktorgrades auch nach 20 Jahren gebilligt. Dass dies bei berufsqualifizierenden Abschlüssen anders ist, sei dadurch gerechtfertigt, dass mit der Doktorwürde auch künftige Erwartungen an das wissenschaftsrelevante Verhalten verbunden sind. 

Exkurs: Wäre der Fall anders zu entscheiden, wenn die Entziehung nicht nach der Promotionsordnung, sondern nach § 48 VwVfG NRW erfolgt wäre? Mit größter Wahrscheinlichkeit nein. Zwar könnte man das bei der Lektüre der Vorschrift meinen, denn in Absatz 4 ist vorgesehen, dass die Rücknahme nur binnen Jahresfrist seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Gründe erfolgen darf. Dies gilt aber ausdrücklich nicht für Fälle der arglistigen Täuschung (§ 48 Absatz 4 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 Nummer 1 VwVfG NRW). Unabhängig davon spielt die Jahresfrist praktisch kaum eine Rolle, da die Rechtsprechung die fristauslösende Kenntnis regelmäßig erst sehr spät annimmt, sodass die Frist zumeist kein Problem darstellt. Wenn die Titelentziehung auf Grundlage neuer Erkenntnisse erfolgt und seitdem die Jahresfrist nicht verstrichen ist, steht einer Entziehung auch bei fehlender Arglist nichts entgegen.

 

BVerwG, Urteil vom 21.06.2017 – 6 C 3.16

OVG Münster, Urteil vom 10.12.2015 – 19 A 254/13

VG Köln, Urteil vom 06.12.2012 – 6 K 2684/12

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